Schuldentilgung des Briefträgers Josef Haiß 1895

Archival des Monats

Der frühere Briefträger Josef Haiß hatte in einem Zeitraum von 5 Jahren bei 76 verschiedenen Personen aus der Stadt und von außerhalb Schulden in Höhe von 788,71 Mark gemacht, die er nicht mehr bezahlen konnte. Ein kleiner Geldbetrag in Höhe von 23 Mark aus einer Erbschaft, die ausgezahlte Lebensversicherung sowie eine weitere Verpfändung seiner Liegenschaften ergaben einen Gesamtbetrag von 298 Mark, der verteilt werden konnte. In einem aufwendigen Verfahren wurden nun die Gläubiger angeschrieben, ob sie sich mit der Auszahlung von 20% ihrer Forderung begnügen.

Ausgenommen waren die Gläubiger mit Vorrecht oder mit Versicherung durch ein Unterpfand, die 100% ihrer Schulden einfordern konnten, bevorrechtet waren die örtlichen Institutionen wie das Spital, die Steuerbehörde, Ärzte und Apotheker sowie die Stadtkasse, die die Kosten des Schuldentilgungs-Verfahrens abrechnete. Voraussetzung für das Gelingen des Verfahrens war, dass Maria Haiß, die Frau des Briefträgers, die von der Trunk- und Verschwendungssucht ihres Mannes am meisten zu leiden hatte, auf ihr in die Ehe eingebrachtes Vermögen verzichtete.

In den Schuldklagprotokollen sind Vorgänge aufgeführt, in denen die Stadtverwaltung eine Mittlerstellung zwischen Gläubiger und Schuldner einnimmt. Besonders auswärtige Gläubiger haben hier die Möglichkeit, sich wegen einzutreibender Ausstände an das Stadtschultheißenamt zu wenden. In den Schuldklagprotokollen sind die Gläubiger, die Schuldner und die Höhe der Schulden aufgeführt. Es wird die Rechtmäßigkeit der Forderung abgefragt und vom Schuldner entweder anerkannt oder abgelehnt. Der Schultheiß setzt daraufhin eine Frist fest, innerhalb derer der Schuldner seine Schuld begleichen muss.

(Bestand Bände Weil der Stadt, WB 25 Schuldklagprotokolle 1822-1879 mit Beilagen)

Aufstellung über der Geldmittel des Josef Haiß zur Begleichung seiner Schulden, o.Dt.

"Zur Bereinigung des Schuldenwesens des ehemaligen Briefträgers Josef Haiß von hier hat die Ortsarmenbehörde ein Notanlehen unter der Bedingung zugesichert, daß die unversicherten Gläubiger sich mit 25% ihrer Forderungen abfinden lassen.
Auf der Liegenschaft der Haiß im ungefähren Wert von 500 M. haften Pfandschulden 210 M.
das aufzunehmende Notanlehen würde                                                   150 M.
betragen, so daß auf der Liegenschaft                                                     360 M.
haften würden.
Im Falle eines Verkaufs der Liegenschaft würde der Betrag von 360 M. voraussichtlich nicht erlöst und müßten eventuell die Grundstücke zu Preißen abgegeben werden, welche offenbar zu nieder wären und welche eine gleich hohe Abfindung der Gläubiger nicht ermöglichen würden.
Durch das Eintreten der Armenpflege soll ein ungünstiger Verkauf der Liegenschaft verhindert und der Familie des Schuldners der Grundbesitz erhalten werden.
An Mitteln sind vorhanden neben dem vorstehend zugesicherten Darlehen der Wert einer Lebensversicherungspolice im Betrage von 148 M., zusammen 298 M."

Entwurf des Schreibens an die Gläubiger, mit dem Vorschlag, sich mit einer Rückzahlung von 20% Schulden zu begnügen, o.Dt.

„Zur Bereinigung des Schuldenwesens des ehemaligen Briefträgers Josef Haiss hier
Hat die Ortsarmenpflege ein Notanlehen unter der Voraussetzung zugesichert, daß eine außergerichtliche Erledigung desselben stattfinde und der Familie die vorhandene Liegenschaft erhalten bleibe. Unter derselben Voraussetzung hat die Ehefrau des Haiß auf die Geltendmachung ihrer Beibringensforderung von 1354 Mark 84 Pfennig verzichtet.
Der Wert der vorhandenen Liegenschaft dürfte ca. 500 M. betragen, ein Verkauf derselben dürfte aber kein befriedigendes Ergebnis liefern, der Wert der Lebensversicherung beträgt 148 M.
An Schulden sind vorhanden
unterpfändlich versicherte                                                                    210 M.
gesetzlich bevorrechtigte und Kosten des Abfindungsverfahrens         80 M.
unbevorrechtigte                                                                             758,51 M.
Im Falle eines Verkaufs der Liegenschaft und wenn die Ehefrau ihre Beibringensforderung geltend macht, dürfte auf die unversicherten Gläubiger" 


"kaum über 10% ihrer Forderungen entfallen.
Mit Zustimmung der Haiß’schen Ehefrau werden nun den unversicherten Gläubigern 20% ihrer Forderungen angeboten unter der Voraussetzung, daß die Gläubiger auf den Restbetrag ihrer Forderungen verzichten und die unten angehängte Erklärung unterzeichnet an das Stadtschultheißenamt innerhalb 8 Tagen übergeben.
Für den Fall, daß nicht von sämtlichen Gläubigern zustimmende Erklärungen einlaufen, wird die unterzeichnete Stelle sich nicht weiter mit dieser Sache befassen und es den Gläubigern überlassen, ihre Rechte nach ihrem Gutdünken zu wahren.
Weilderstadt, den … Mai 1895
Stadtschultheißenamt
 
Der Unterzeichnete, welcher an Josef Haiß … Mark … Pfennig zu fordern hat, begnügt sich für seine Forderung mit 20 % derselben und verzichtet auf den Mehrbetrag und alle diesbezüglichen weitere Ansprüche.
Weil der Stadt den … Mai 1895“


Brief der Marie Haiß an Stadtschultheiß Hugo Beyerle, und Bitte um Unterstützung, damit ihr Mann Josef Haiß nicht die 23 Mark, die er aus einer kleinen Erbschaft am 1.7.1895 erhalten hat, im Gasthaus Rose vertrinkt. (o.Dt., vermutlich 1.7.1895)

„Ich bitte um Entschuldigung, daß ich Sie Herrn Stadtschultheiß belästige, ich wollte schon oft auf diese Art zu Ihnen, aber heute muß ich Sie in Kentniß setzen. Ich bin erst 9 Tage Wöchnerin, kann nicht aus dem Hauß, indem ich noch nicht in der Kirche geweßen bin, unsere ganze Familie hat die Woche von meiner Mutter gelebt. Heute bekomt mein Man Geld von Mannheim. Er komt nicht nach Hauß. Er ist in der Roße mit seiner ganzen Freundschaft und hat zu seiner ältesten Tochter gesagt, es müsse heut alles versoffen sein, ich beomme nichts davon. Herrn Stadtschultheiß, ich bitte Sie herzlich mir an die Hand zu gehen und auf"


"das Geld Beschlag zu legen und ihm sagen zu lassen, wo er das Geld hinthun müsse, der Hebamme 5 Mark, dem Fuhrmann Schray 3, der Sternewirthin für Gerste 2,37, dem alten Rigoth 1,19, der Wittwe Schieroth, Bäcker, 1,20, dem Bäcker Wirth 1,15 und der Hauszins und von was soll ich diese Woche leben mit 6 Kindern? Er sagt, ich solle die Kinder hinthun, wo ich wolle, er habe sein Essen. Ich bitte Herrn Stadtschultheiß doch ins Mittel zu treten, damit heute nicht alle 23 Mark darauf gehen. Diese seine Freunde sind blos heute gut, bis das Geld fort, die Kindern haben dann kein Brod.
Hochachtungsvoll Marie Haiß“