(Bestände Stadtarchiv Weil der Stadt Akten II & IV, Zeitgeschichtliche Sammlung (ZGS), Bildersammlung S4)
Weil der Stadt war die erste Gemeinde im damaligen Landkreis Leonberg, die eine Partnerschaft mit einer französischen Stadt eingegangen ist. Nur 19 Gemeinden in Baden-Württemberg schlossen früher eine Partnerschaft mit einer französischen Stadt ab.
Die Städtepartnerschaft zwischen Weil der Stadt und Riquewihr besteht seit 24. September 1961. An diesem Tag wurde in Riquewihr die Partnerschaftsurkunde unterzeichnet.[1] Die Bestätigung der Partnerschaft in Weil der Stadt fand zwei Jahre später am 8. September 1963 statt[2].
Die verantwortlichen Bürgermeister in beiden Orten waren Julien Dopff und der damalige Weiler Bürgermeister Willi Oberdorfer.
Die Verbindung zu Riquewihr war durch den Architekten Professor Adolf Schuhmacher aus Stuttgart zustande gekommen. Architekt Schuhmacher war im Zusammenhang mit der Renovierung des vom württembergischen Hofbaumeister Heinrich Schickardt erbauten „Dissler-Hauses“ nach Riquewihr gekommen um Untersuchungen für einen Erwerb und eine etwaige kulturelle Nutzung des Hauses durch das Land Baden-Württemberg vorzunehmen[3].
Schuhmacher brachte daraufhin den Vorschlag einer Städtepartnerschaft bei einem Aufenthalt in Weil der Stadt bei Bürgermeister Oberdorfer vor[4].
Weil der Stadt hatte sich zuvor schon um eine französische Partnerstadt bemüht. Der bereits sehr intensive Kontakt zu Ris Orangis[5] wurde aber abgebrochen, weil der interministerielle Ausschuss in Paris, dem alle Partnerschaften zwischen deutschen und französischen Gemeinden zur Genehmigung vorzulegen waren, die Partnerschaften mit kommunistisch geleiteten Gemeinden nicht mehr erlaubte und man mutmaßte, dass dies im Falle von Ris Ornagis eintreten könne[6].
Am 30. Juli 1961 fand in Weil der Stadt ein Treffen zwischen Delegationen der Gemeinderäte aus Weil der Stadt und Riquewihr statt. Dabei kam es zum Bekenntnis, dass sich beide Städte in einer Partnerschaft zusammenschließen sollten. Die Idee dahinter war die Versöhnung der ehemaligen Kriegsgegner vor dem Hintergrund eines geeinten Europas.
Partnerschaftsfeier am 24.September 1961 in Riquewihr
Der Ablauf der Partnerschaftsfeier am 24.September 1961 in Riquewihr lässt sich in diversen Zeitungsartikeln sowie den Akten im Stadtarchiv Weil der Stadt nachvollziehen.[7]
Nach diversen Programmpunkten im Verlaufe des Tages[8] kam es nach einem gemeinsamen Festmahl im Riquewihrer Ratssaal zur Unterzeichnung der Partnerschaftsurkunden durch die Bürgermeister und Stadträte. Die Feierstunde wurde musikalisch umrahmt mit Beiträgen der Chorvereinigung Riquewihr. Es wurden diverse Ehrengeschenke ausgetauscht (darunter die jeweiligen Stadtfahnen), der Weiler Stadtrat Warta überreichte ein selbstgefertigtes Modell des Stuttgarter Fernsehturmes.
Beim abendlichen gemütlichen Beisammensein fand sich auch der Vizepräsident des deutschen Bundestags, Carlo Schmidt[9], ein. Dieser hatte seine Kindheit in Weil der Stadt verbracht, als Sohn einer französischen Mutter und eines deutschen Vaters war dem ihn Perpignan geborenen Schmidt die deutsch-französische Freundschaft stets ein großes Anliegen. Insgesamt ist den Unterlagen zu entnehmen, dass den Feierlichkeiten zahlreiche hochrangige Gäste aus Politik und Gesellschaft beiwohnten –darunter neben Carlo Schmidt auch prominente französische Politiker sowie Herzog Philipp von Württemberg (ein Hinweis auf die jahrhundertelange Zugehörigkeit Riquewihrs zu Württemberg im Rahmen der Herrschaft Mömpelgard/Montbeliard). Man betrieb einen „protokollarisch“ sehr großen Aufwand. Die Feierlichkeiten wurden offenbar mit großer Ernsthaftigkeit und äußerst würdevollem Auftreten begangen.
Partnerschaftsfeier in Weil der Stadt am 8.September 1963
Zwei Jahre nach den Feierlichkeiten in Frankreich kam es nach einigen Verschiebungen zum Gegenbesuch der Riquewihrer Delegation in Weil der Stadt.
Die Gäste aus Riquewihr trafen am Sonntag den 08. September 1963 in Weil der Stadt ein. Am Marktplatz wurden sie durch Bürgermeister Oberdorfer und dem Gemeinderat empfangen und begrüßt.
Die Ansprachen der beiden Bürgermeister Oberdorfer und Dopff sind im Wochenblatt der Stadt Weil der Stadt auszugsweise veröffentlicht.[10]
Nach dem Austausch von Gastgeschenken erhielt Dopff die höchste Weil der Städter Auszeichnung, die Bürgermedaille in Gold. Für den Gemeinderat Riquewihr wurde ein Pokal mit der Aufschrift: „Unsere Freundschaft – unsere Zukunft“ mit den beiden Städtenamen und den Daten der Festtage in Riquewihr und Weil der Stadt geschaffen.
Der Abgeordnete der französischen Nationalversammlung Edmond Borocco aus Colmar, der selbst mehrere Jahre in einem Gestapogefängnis inhaftiert war, appellierte an die Jugend, die letzten Hassgefühle zu verdrängen. Der deutsch-französische Freundschaftsvertrag biete die Basis dafür. Riquewihr sei als elsässische Stadt an der Grenze zwischen Deutschland und Frankreich für eine Brückenfunktion prädestiniert.
Es erfolgte wie schon zwei Jahre zuvor die Unterzeichnung und Austausch der Partnerschaftsurkunden sowie eine symbolische Schlüsselübergabe, auch ein opulentes Festmahl durfte nicht fehlen.
Weiterer Verlauf der Partnerschaft
Im September 1978 traf sich eine Delegation aus Riquewihr im Rathaus Weil der Stadt mit Bürgermeister Knobloch. Ziel war es, den Austausch zwischen den Gemeinden zu reaktivieren, nachdem es in den vergangenen fünf Jahren kaum Begegnungen gegeben hat. Als Probleme wurden die unterschiedliche Gemeindegröße sowie das Fehlen von höheren Schulen in Riquewihr für den Schüleraustausch angegeben. Pierre Dopff schlug eine Inventur der Vereine und die Erörterung der Möglichkeiten für einen Austausch vor. Ein weiterer Vorschlag von BM Dopff, der selbst eine Kellerei besaß war die Einladung der Weil der Städter zur Weinlese übers Wochenende[11]. Im Jahr 1982 regte der FDP Stadtverband Weil der Stadt eine Beendigung der Städtepartnerschaft an, was aber mehrheitlich abgelehnt wurde[12].
25 Jahre Städtepartnerschaft: Jubiläum im Jahr 1986 in Weil der Stadt
Zum 25-jährigen Jubiläum der „Jumelage“ ist eine umfangreiche Akte im Bestand Weiler Akten IV vorhanden. Aus diesen Unterlagen kann der Verlauf der Feierlichkeiten sehr genau nachvollzogen werden: Weil der Stadt erhielt ein französisches Wegweiserschild „210 Riquewihr“, das auf die Entfernung der beiden Partnerstädte verweist. Im November 1986 wurde dieses Schild im Stadtgarten aufgestellt
Die Jubiläumsfeier fand am 27.September 1986 in Weil der Stadt statt, dazu kamen knapp 90 Besucher aus Riquewihr mit dem damaligen Bürgermeister Pierre Dopff an der Spitze. Zunächst gab es ein gemeinsames Mittagessen, am Nachmittag folgte ein Vergleichsschießen der Schützenvereine beider Ortschaften. Weiterhin gab es ein Fußballspiel, welches Riquewihr mit 4:0 gewann. In der Halbzeitpause zeigte die Feuerwehr Weil der Stadt mit einer Rettungsübung ihren Leistungsstand.
Am Abend folgten Musik- und Folkloredarbietungen von deutschen und französischen Gruppen.
Die Feier ließ sich die Stadt 14 295 DM[13] kosten, Hauptposten waren die Hotelunterbringung sowie die Verpflegung der Gäste aus Riquewihr (58 Übernachtungsgäste wurden in Hotelzimmern untergebracht[14], einige Gäste fuhren am Abend nach Riquewihr zurück. Interessanterweise gab es keine Übernachtungen bei privaten Gastgebern).
Bürgermeister Pierre Dopff, der Sohn von Julien Dopff, der als Bürgermeister die Partnerschaft mit Weil der Stadt eingegangen war, bezeichnete seinen verstorbenen Vater als einen überzeugten Europäer, der sich in vielen Gremien für das Ziel eines geeinten Europäers eingesetzt habe. Überzeugter Europäer war damals auch der Weiler Bürgermeister Willi Oberdorfer, wie Dopff in seiner Rede 1986 erwähnte.
Dopff sprach 1986 von der „Ungleichheit der Bevölkerung“, welche die Partnerschaft erschwert habe[15]. Da Dopff diese Schwierigkeiten in seiner Rede zum 25 Jahr-Jubiläum erwähnte könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass es 1986 nach wie vor eine gewisse Skepsis gegeben haben könnte, wie es mit der Partnerschaft weitergehen wird. Ein Selbstläufer war diese nicht, weder hier noch in anderen Städten. So fand auch die Sindelfinger Zeitung in einem Artikel vom 29. September 1986 kritische Worte zur Partnerschaft und bezeichnete diese mit den Worten: „Man weiß um die Zusammengehörigkeit, eine Leidenschaft verbirgt sich aber dahinter nicht“
In den folgenden Jahren war aber der Berichterstattung in der Presse keine Kritik mehr zu entnehmen, ab den 1990er Jahren fanden unter dem Weiler Bürgermeister Hans-Josef Straub vermehrte Partnerschaftsaktivitäten statt. So wurden in Weil der Stadt die Riquewihrer Weintage (seit 1998) ins Leben gerufen – die Verbindung über den Wein war bereits 1978 von Pierre Dopff angeregt worden.
50 Jahre Städtepartnerschaft: Feierlichkeiten im Jahr 2011
2011 wurde dann mit je einem Festakt in Weil der Stadt am 02./.03. April 2011 sowie in Riquewihr am 18./19. Juni 2011 das 50-Jahr-Jubiläum begangen[16].
Die Partnerschaft ist heute eher auf kulinarischem und kulturellem Fundament gebaut, daran sieht man auch, wie sich in den zurückliegenden 60 Jahren die Interessen geändert haben: Die Friedenssicherung mit Frankreich und die schrecklichen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges spielen in der Partnerschaft keine bzw. allenfalls eine untergeordnete Rolle mehr, dies ist heute selbstverständlich geworden. Vor dem Hintergrund der nach wie vor großen Herausforderungen eines geeinten Europas ist der deutsch-französische Austausch aber auch auf kommunaler Ebene nach wie vor von großer Bedeutung.
Geschichtliches zu Riquewihr
Das nahe Colmar gelegene Riquewihr erhielt im Jahr 1320 die Stadtrechte und wurde 1324 an das Haus Württemberg verkauft. Riquewihr gehörte später mit der durch die Heirat von Eberhard IV. mit Henriette von Montbeliard zu Württemberg gelangten Grafschaft Mömpelgard (Montbeliard) zu den linksrheinischen Besitzungen des Hauses Württemberg. 1796 wurde Riquewihr dem französioschen Staatsgebiet zugeschlagen.
Der württembergische Herzog Ulrich wurde am 08. Februar 1487 im dortigen Schloss geboren. Noch heute finden sich die Spuren der über 400 Jahre währenden württembergischen Herrschaft im Stadtbild. Am Treppenturm des Riquewihrer Schlosses ist das (alt-)württembergische Wappen mit den Hirschstangen und den Barben von Mömpelgard zu sehen, dazu der von Graf Georg (ein Bruder des Herzogs Ulrich) angebrachte Wappenspruch „Die Stund bringt`s End“ . Auch stammen zahlreiche Häuser noch aus württembergischer Zeit, unter anderem gibt es ein Haus vom berühmten Baumeister Heinrich Schickhardt erbaut wurden. Ein Treppenwitz der Geschichte ist, dass Weil der Stadt über Jahrhunderte nicht württembergisch, sondern als Reichsstadt reichsunmittelbar und in wiederkehrendem Konflikt mit Württemberg war und erst 1802 württembergisch wurde –im Tausch für den Verlust der linksrheinischen Gebiete (Mömpelgard) wurde Württemberg mit den mediatisierten Reichsstädten „entschädigt“ – darunter auch Weil der Stadt.
[1] vgl. dazu StArch WdS Zeitschriften Z40 Wochenblatt vom 30. September 1961
[2] StArch WdS Zeitschriften Z40 Wochenblatt vom 14. September 1963
[3] StArch Weil der Stadt Akten II Az. 1135
[4] StArch Weil der Stadt GR Protokoll vom 19. Oktober 1960, § 255
[5] StArch Weil der Stadt Akten II Az. 1035
[6] StArch WdS, GR-Protokoll vom 19. Oktober 1960, § 255
[7] Bestand StArch WdS, Zeitgeschichtliche Sammlung (ZGS), Le Noveau Rhin Francais, Ausgabe Nr 226 vom 26. September 1961, Zeitschriften Z40 Wochenblatt vom 30. September 1961
[8] vgl. dazu Akten II Az. 1035 und ZGS 001 Riquewihr: Programm in französischer Sprache
[9] vgl. dazu Archivale des Monats Oktober 2021, www.weil-der-stadt.de
[10] StArch WdS Zeitschriften Z40 Wochenblatt vom 14. September 1963
[11] StArch Weil der Stadt Wochenblatt vom 14. September 1978
[12] StArch Weil der Stadt, Akten IV Boorberg
[13] Bestand StArch WdS, Akten IV Boorberg, Az. 003., Handschriftliche Aufstellung der Kosten des Jubiläums
[14] Bestand StArch WdS, Akten IV Boorberg Az. 003.23, Rechnungen Hotel Krone Post und Gasthaus zum Stern
[15] Bestand StArch WdS, Akten IV Boorberg, Az. 003.23, Manuskript der Rede von Pierre Dopff
[16] StadtArch Weil der Stadt ZGS 001, Artikel LKZ vom 04. April 2011 und Sindelfinger Zeitung vom 05. April 2011