(Bestände Stadtarchiv Weil der Stadt Akten II & IV, Zeitgeschichtliche Sammlung (ZGS), Bildersammlung S4)
Zwar änderte sich die staatliche Verwaltung in den zurückliegenden Jahrhunderten regelmäßig, die Gemeindegrenzen des Herzogtums Württemberg waren aber bis ins 19. Jahrhundert hinein wenig Änderungen unterworfen. Erst im neu begründeten Königreich Württemberg gab es auch auf der Ebene der gemeindegrenzen Veränderungen, so wurde zum Beispiel zwischen 1827 und 1839 eine Revision der Gemeindebezirkseinteilung durch das württembergische Innenministerium durchgeführt.
Erst um die Jahrhundertwende wurde im Umfeld von Großstädten Eingemeindungen durchgeführt, so kamen Cannstatt, Untertürkheim und Wangen im Jahr 1905 und Degerloch im Jahr 1908 zu Stuttgart. Weitere Eingemeindungspläne wurden aufgrund des Widerstands der Bevölkerung nicht angestrebt. Währenddessen gab es zu Anfang des 20. Jahrhunderts auf staatlicher Ebene immer wieder Anpassungen in der Verwaltungsgliederung.
Bis zum Jahr 1960 blieb der größte Teil der Kommunen unverändert, die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg waren geprägt von Wiederaufbau und Neugliederung der staatlichen Verwaltung (z. Bsp. Schaffung der Bundesländer). Die kommunale Selbstverwaltung wurde dabei nicht angetastet – Gründe waren die hohe Wertschätzung der kommunalen Selbstverwaltung aus einem historischen Selbstverständnis heraus sowie die öffentliche Meinung
Mit den rasanten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen der 1950er und 1960er Jahre in der Bundesrepublik (Stichwort „Wirtschaftswunder“) veränderten sich die Lebensverhältnisse der Bevölkerung rasch. So stellte ein im Zusammenhang mit dem Deutschen Juristentag 1964 in Göttingen erstelltes Gutachten des Juristen Werner Weber[1] fest, dass sowohl in den städtischen Ballungsräumen als auch in ländlichen Kleingemeinden die kommunalen Verwaltungsstrukturen den neuen Anforderungen nicht mehr gerecht wurden. Der Leitsatz lautete: „Von der Ordnungs- zur Leistungsverwaltung“. In der Folge setzten ab Mitte der 1960er Jahre in allen Bundesländern umfassende Verwaltungs- und Gemeindereformen ein.
Baden-Württemberg erteilte 1966 den Auftrag für ein umfassendes Gutachten zur Verwaltungsreform. Mit den Regierungserklärungen des Ministerpräsidenten Filbinger vom Januar 1967 und Juni 1968 wurde die Verwaltungsreform gewissermaßen in Gang gesetzt, die Reformen auf der staatlichen Ebene (Behörden und Funktionalreform) sowie auf Gemeindeebene vorsah. Eine der Grundlagen für die Gemeindereform war eine Studie „Zentrale Orte und ihre Verflechtungsbereiche in Baden-Württemberg“ der Universität Freiburg sowie zahlreiche Gesetze, die in den Jahren ab 1968 erlassen wurden, darunter auch die Gesetze zur Stärkung der Verwaltungskraft der Gemeinden von 1968 und 1970.
Vor dem Hintergrund dieser politischen Entwicklungen, die an dieser Stelle nicht allzu detailliert ausgeführt werden sollen, erfolgten auch im damals noch bestehenden Landkreis Leonberg (der im Zuge ebenjener Verwaltungsreform zum 01. Januar 1973 aufgelöst wurde) die ersten Bestrebungen für freiwillige Gemeindezusammenschlüsse.
Hausener Gretchenfrage: Heimsheim oder Merklingen?
Auf dem Gebiet der heutigen Stadt Weil der Stadt erkannte Hausen als kleinste Gemeinde des Landkreises aufgrund der durch die Landesregierung angestrebten Reformen schnell die Notwendigkeit, sich einen Partner zu suchen. Dabei kam es bereits im Sommer des Jahres 1969 zu Briefwechseln zwischen dem damaligen Bürgermeister der Gemeinde Hausen, Werner Hafner, und dem Merklinger Bürgermeister Walter Fischer – es wurde zunächst die Möglichkeit einer Verwaltungsgemeinschaft diskutiert, auch mit Heimsheim führte Hausen diesbezüglich Gespräche.
Über den Abschluss einer derartigen Verwaltungsgemeinschaft entspann sich 1970 in Hausen eine heftige Kontroverse, die bei einer Bürgerversammlung sowie in zahlreichen Leserbriefen heftig und zum Teil auf persönlicher Ebene öffentlich ausgetragen wurde.[2] Ohnehin war die Hausener Kommunalpolitik in jener Zeit geprägt von vielfältigen Streitigkeiten zwischen Bürgermeister und Gemeinderat, die sich nun auch in diesem Bereich ausdrückten und im Rücktritt des Hausner Bürgermeisters Werner Hafner gipfelten[3]. Bei den nun notwendigen Neuwahlen wurde der Heimsheimer Bürgermeister Karl Schuler im Sommer 1970 zum neuen Bürgermeister gewählt. Dies geschah unter Beibehaltung seines Heimsheimer Amtes, so dass Schuler nun zeitgleich das Amt des Heimsheimer und des Hausener Bürgermeisters versah.
Nachdem die kommunalpolitischen Streitigkeiten mit dem neuen Bürgermeister weitestgehend beendigt waren widmete man sich nun unter Führung von Karl Schuler wieder verstärkt der Frage nach einem Partner für einen freiwilligen Zusammenschluss – Bürgermeister und Gemeinderat war klar, dass gemäß der neuen gesetzlichen Bestimmung für Hausen mit seinen 500 Einwohnern keine selbstständige Zukunft mehr möglich war. Für den notwendigen Zusammenschluss mit einer anderen Kommune schien nun durch Schulers ersten Dienstort sowie den ohnehin engen Beziehungen dorthin Heimsheim die erste Wahl zu sein. Dennoch war nun auf Bestrebungen des Hausener Gemeidnerats auch Merklingen im Gespräch. Die Stuttgarter Nachrichten titelten in ihrer Ausgabe vom 21. April 1971: „Schwere Wahl – große Folgen. Soll sich Hausen Heimsheim oder Merklingen anschließen?“[4]
Parallel zur Frage um den Gemeindezusammenschluß wurde auch um den Landkreis Leonberg sowie die Frage zu welchem Landkreis man im Falle einer Auflösung des Leonberger Kreises gehören wolle gerungen. Im Falle von Hausen befürwortete der Gemeinderat zunächst im November 1970 die Beibehaltung des Landkreises Leonberg, im Falle einer Auflösung des Landkreises wollte man damals ebenso wie Heimsheim dem Landkreis Pforzheim zugeschlagen werden. Hintergrund dieser Forderung war der erhoffte Fortbestand des Heimsheimer Schulzentrums, von dem auch Hausen profitierte. Im Verlauf des ersten Halbjahres 1971 wurde dieser Beschluss durch den Hausener Gemeinderat jedoch aufgehoben, und nachdem sich in Heimsheim bei einer Bürgerbefragung eine Mehrheit für eine Zugehörigkeit zum neuen Landkreis Pforzheim ausgesprochen hatte war die Hausener Zuneigung zum Heimsheimer Nachbarn mittlerweile merklich abgekühlt. So suchte man aus dem Gemeinderat heraus verstärkt den Kontakt zu Merklingen. Die Merklinger, die sich bisher sehr zurückhaltend gezeigt hatten, warben nun auch offensiv für eine Anbindung Hausens an Merklingen: Bürgermeister Fischer ließ zu diesem Zwecke extra ein Flugblatt drucken und in Hausen verteilen[5].
Bei einer Meinungsumfrage unter der Bürgerschaft am 02. und 03. Juli 1971 sprach sich schließlich eine Mehrheit der Hausener Bürger für eine Angliederung an den Kreis Böblingen und einen Zusammenschluss mit der Gemeinde Merklingen aus. Und dies obwohl man erst ein knappes Jahr zuvor mit Karl Schuler einen eindeutigen Befürworter des Anschlusses an Heimsheim zum Bürgermeister gewählt hatten. Dieser zeigte sich sehr enttäuscht, wickelte die weiteren Schritte dann aber professionell ab.
Diese Schritte gingen dann rasch von statten: im Verlaufe des Sommers wurden konkrete Verhandlungen mit dem Merklinger Bürgermeister Fischer aufgenommen, die schließlich in einer offiziellen Bürgeranhörung am 07. November 1971 mündeten. Dabei wurde die Zustimmung der Bürgerschaft zum Zusammenschluss mit Merklingen von einer Mehrheit der Einwohner bekräftigt. Daraufhin wurde mit gemeinderätlichem Beschluss vom 15. November 1971 der Eingliederungsvertrag[6] bestätigt.Dieser wurde ebenfalls am 15. November von beiden Bürgermeistern unterzeichnet und trat mit Wirkung zum 01. Dezember 1971 in Kraft.
Somit bestand die Gemeinde Merklingen nun aus dem Hauptort Merklingen sowie dem Ortsteil Hausen.
Doch diese Gliederung sollte vor dem Hintergrund der rasanten Entwicklungen nicht lange Bestand haben – der später vollzogene Zusammenschluss mit Weil der Stadt zeichnete sich bereits mehr als deutlich ab, bereits im Frühjahr 1971 hatte es erste Kontakte zwischen Weil der Stadt und Merklingen gegeben, diese wurden durch die Eingemeindung Hausens lediglich verschoben. Doch dies ist eine Geschichte für sich, der das Stadtarchiv im kommenden Jahr nachgehen wird.
[1] Werner Weber (* 31. August 1904 in Wülfrath; † 29. November 1976 in Göttingen) deutscher Jurist. und bedeutender Staats- und Verfassungsrechtler in Deutschland, zwischen 1933 und 1945 auch NSDAP Mitglied
[2] StArch WdS, Mitteilungsblatt der Gemeinde Hausen vom 26. September 1969
[3] StArch WdS, Akten Hausen nach Flattich, Az 1152, umfangreiche Zeitungsausschnittsammlung
[4] StArch WdS, Akten Hausen nach Flattich, Az 1152, umfangreiche Zeitungsausschnittsammlung
[5] StArch WdS, Akten Hausen nach Flattich, Az 1152, Flugblatt Walter Fischer
[6] StArch WdS, Akten Hausen nach Flattich, Az 1152, Eingliederungsvertrag mit Originalunterschriften der jeweiligen Bürgermeister.