Sühne-Protokoll Weil der Stadt, Auzüge 1914-1929

Archival des Monats

Mit der Neufassung der württembergischen Gemeinde-Selbstverwaltung wurde 1819 dem Ortsvorsteher die Aufgaben eines Friedensrichters übertragen. Das Ziel war, dass der Friedensrichter bei geringfügigen Zivilsachen wie Beleidigungen, Verleumdungen oder geringfügigen Diebstählen den Streit zwischen den Parteien schlichten sollte, bevor die Streitsache an ein Amtsgericht verwiesen wurde. Man ging davon aus, dass der Ortsvorsteher die persönlichen Verhältnisse der Streitparteien und die Lage der Sache besser kenne, zudem das Vertrauen der Parteien genieße und damit leichter einen Vergleich zustande bringen könne als ein Amtsgericht.


Transkription[1]:
 
1. Name, Stand und Wohnort
a) des Klägers:                  Anton Stotz, Bierbrauereibesitzer, hier
b) des Beschuldigten:     Gottlob Wagner, Bauer, hier
 
2. Antrag auf Vornahme des Sühneversuchs
Gerichtsassessor Weber, Stellvertreter des Rechtsanwalts Roth in Leonberg, beantragt unter Vorlage einer Vollmacht vom 10. Februar 1914 des Anton Stotz, Bierbr., hier, die Vornahme eines Sühneversuchs auf Grund der Beschuldigung :
Wagner habe
1. am 26. Januar 1914 in Weilderstadt die 20 Jahre alte Tochter des Priv[at] Kl[ägers] Maria Stotz öffentlich eine „Hure“ und ein „Lumpenmensch“ geschimpft.
2. Am gleichen Tage von seiner Wohnung aus auf die Straße mit Beziehung auf den Privat-Kläger herabgeschrieen, so daß es jedermann hören konnte: „Das ist kein Wunder, daß niemand bleibt, man bekommt ja nicht genug zu fressen.“
3. Am 8. des Monats in der Wirtschaft zur Rose hier öffentlich mit Beziehung auf das Geschäft des Privat-Klägers sich geäußert: „Von einer solchen Brauerei sollte man kein Bier trinken, da springen die Ratten auf dem Gerstenhaufen herum und schwimmen im Gärbottich.“
 
3. Termin ist anberaumt am
12. Februar 1914
4. Termin ist anberaumt auf
14. Februar 1914 vormittags ½ 9 h
5. Zum Termin ist geladen
beide Teile
6. Zum Termin ist erschienen
beide Teile


7. Bestimmte Bezeichnung der angeblichen Beleidigung (falls solche von dem Inhalt der Spalte 2 abweicht). Ergebnis der Verhandlung, Beurkundung, daß das Protokoll den Erschienenen vorgelesen oder zur Durchsicht vorgelegt und von ihnen genehmigt worden ist.
Unterschrift der Erschienenen und des Sühnebeamten.
Am 14. Februar 1914 erklärt der Beklagte Gottlob Wagner, Bierbrauer; hier:
ich gebe zu, die beleidigenden Äußerungen getan zu haben, weil ich an diesen Tagen sehr erregt war. Auf das Ansinnen, öffentlich Abbitte zu leisten, gehe ich nicht ein.
Der Sühneversuch blieb damit erfolglos.
A.V. [Auf Vortrag]
t[estat][2] Anton Stotz
testat Gottlob Wagner
Zur Beurkundung i.V.  Der Sühnebeamte Schütz
 
Am 19. Februar 1914 erscheinen wiederholt Kläger und Beklagter.
Der Beklagte Wagner erklärt: ich nehme hiemit meine hievor angeführten beleidigenden Äußerungen , welche von mir wider besseres Wissen gemacht worden sind, mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück und verpflichte mich zur Bezahlung der dem Kläger bis jetzt erwachsenen Rechtsverfolgungskosten.
Der Kläger ist hiemit zufrieden und der Sühneversuch somit nachträglich zustande gekommen.
[Erneut unterschrieben von dem Kläger, dem Beklagten und dem beurkundenden Schultheißenamtsverweser Schütz]

[1]              Buchstabengetreue Umschrift. Groß- und Kleinschreibung, Getrennt- und Zusammenschreibung  sowie Satzzeichensetzung nach heutigem Gebrauch; allgemein verständliche Abkürzungen und Konsonantenverdoppelungen ausgeschrieben.
[2] testat = es bezeugt oder testis = der Zeuge


1. Name, Stand und Wohnort
a) des Klägers:                  Reich, Anna, geb. Gerlach, hier
b) des Beschuldigten:     Jäger, Anna, ledige Zigarrenmacherin, hier
 
2. Antrag auf Vornahme des Sühneversuchs
Ich beabsichtige gegen die Jäger Privatklage wegen Beleidigung zu erheben und bitte um Vornahme des vorgeschriebenen Sühneversuchs. Die Beleidigung wurde verübt am Freitag, den 14. November 1919, abends 6 Uhr in der Fabrik von Otto Haisch.
Die Jäger ließ mich in den Haisgang hinauskommen und sagte zu mir “wie kommst denn du dazu, mich in der Fabrik herumzuziehen?“ Ich entgegnete ihr, daß sie sich zuerst genau erkundigen solle, worauf sie mich ins Gesicht schlug und schrie: „Du Schnalle, Du Hure, Du Sau, geh‘ heim und putze Deine Haushaltung“ und anderes mehr.
 
3. Termin ist anberaumt am
15. November 1919
4. Termin ist anberaumt auf
Mittwoch 19. November 1919 vormittags 8 Uhr
5. Zum Termin ist geladen
Klägerin und Beklagte
6. Zum Termin ist erschienen
beide Teile


7. Bestimmte Bezeichnung der angeblichen Beleidigung (falls solche von dem Inhalt der Spalte 2 abweicht). Ergebnis der Verhandlung, Beurkundung, daß das Protokoll den Erschienenen vorgelesen oder zur Durchsicht vorgelegt und von ihnen genehmigt worden ist.
Unterschrift der Erschienenen und des Sühnebeamten.
 
Die Beleidigung, wie sie von der Klägerin vorgebracht worden ist, wurde vorgetragen, worauf die Beklagte erklärte:
Es ist richtig, daß ich die Frau Reich ins Gesicht geschlagen habe, weil sie mich bei einem gewissen Vollmer in Merklingen verliederlicht hat, eine Schnalle und Hure habe ich sie nicht geheißen, ich sagte nur, sie solle nach Hause gehen und ihre Haushaltung putzen, sodann hieß ich sie eine Drecksau, worauf sie mich eine Hauptsau hieß.
Die Klägerin erklärt, sie könne sich diese Beleidigung nicht gefallen lassen und sie verlange, daß die Beklagte Abbitte in der Weise leiste, daß sie dies vor dem Sühnebeamten erkläre und daß diejenigen Personen, welche von der Sache wissen, durch den Schutzmann von dem Verlauf der heutigen Verhandlung Kenntnis gegeben werde.
Die Beklagte erklärt sich damit einverstanden, der Sühneversuch ist somit zu Stand gekommen.
A.V.
Testat  Anna Reich
Testat Anna Jäger
Zur Beurkundung Der Sühnebeamte Schütz