Pflugwirth Georg Gottfried KAPPLER aus Hausen

(Stadtarchiv Weil der Stadt, Bestand Hausen, Staatsarchiv Ludwigsburg)

 

Im Staatsarchiv Ludwigsburg wird unter Signatur  StAL E 162 I_Bü 312 eine für die Hausener Ortsgeschichte interessante Akte des Medizinal-Collegiums1 aufbewahrt. Enthalten sind Korrespondenzen und Ermittlungsakten wegen vorsätzlicher Körperverletzung gegen Gottfried KAPPLER aus Hausen an der Würm.

Die Ludwigsburger Akte aus dem Jahr 1858 umfasst fünf Schriftstücke mit insgesamt zehn beschriebenen Blättern2. Die Ermittlungen beziehen sich auf den Tod des 17jährigen Johannes REISS, der am 09. November 1858 in Hausen verstarb. Der „Criminal Senat des Königliche Gerichtshof für den Neckarkreis“3, der sowohl für Zivil- als auch für Strafsachen des Oberamts Leonberg und damit auch für die kleine Kommune Hausen zuständig war führte offenkundig die Ermittlungen. Der Esslinger Kriminalgerichtshof richtete an das Medicinalkollegium in Stuttgart die Bitte um ein ausführliches medizinisches Gutachten zu besagtem Todesfall. Aus dem daraufhin erstellten Gutachten wird der Sachverhalt deutlich: am 09. Oktober 1858 hatte der später Verstorbene versucht, in der Gastwirtschaft „Pflug“ in Hausen Wein zu stehlen. Dabei wurde er vom Wirt, dem zu diesem Zeitpunkt 35jährigen Georg Gottfried KAPPLER auf frischer Tat ertappt. Der offensichtlich couragierte KAPPLER ging mit einem Stock auf den Dieb los und schlug auf ihn ein. Sicherlich dürfte er den Dieb, der aus dem damals kleinen und überschaubaren Dorf (Hausen hatte Mitte des 19. Jahrhundert ungefähr 300 Einwohner) stammte erkannt haben und drohte diesem mit einer Anzeige beim Schultheiß.

Das Gutachten beschreibt neben dem Tatverlauf ausführlich die Verletzungen sowie die schrittweise Verschlechterung des Gesundheitszustands, die mit dem Tod des Johannes REISS am 09. November 1858 endete.

Als Todesursache wurde eine Pyämie festgestellt: „Besteht nunmehr, nach unserer Überzeugung kein Zweifel darüber, daß der Verletzte den Folgen der Pyämie erlegen ist, so bleibt uns nur noch übrig, den Nachweis zu liefern, daß diese Pyämie, in Folge der, durch die erlittene Mißhandlung entstandenen Verletzung eingetreten ist.“

Bei einer Pyämie  handelt es sich um eine spezielle Form der Blutvergiftung, bei der in Folge einer üblicherweise äußeren Verletzung entstandenen eitrigen Entzündung Krankheitserreger ins Blut übergehen und zu eitrigen Abzessen in anderen Organen und unbehandelt letztlich zum Tod führt. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die dem REISS durch den Pflugwirth zugefügten Verletzungen letztlich zu der beschriebenen Blutvergiftung führten: „Wir glauben daher […], daß hier in Folge der Verletzung, Eiterung eintrat, welche die Pyämie zur Folge hatte […]“

Interessant sind die auf dem letzten Blatt des Gutachtens durch verschiedene Schreiber hinzugefügten Anmerkungen. Diese stimmen den Inhalten des Gutachtens nicht immer zu, sondern ziehen zum Teil die Folgerungen des Erstellers in Zweifel, auch werden Änderungsvorschläge gegeben. Ganz offensichtlich handelt es sich demnach um einen Entwurf. Wie das endgültige Gutachten ausfiel und ob dieses den Tod des Johannes REISS ebenfalls eindeutig als Folge der durch den Pflugwirth zugefügten Verletzungen feststellt bleibt unklar. Auch liegen nach derzeitigem Stand keine weiteren Informationen über eine Gerichtsverhandlung gegen KAPPLER oder gar eine Verurteilung vor.

Im Bestand des Stadtarchivs Weil der Stadt lassen sich einige weitere Materialien zu den Protagonisten finden. Die Familienregister Hausens liefern uns die genauen Lebensdaten sowie die familiären Zusammenhänge. Laut Familienregister wurde Georg Gottfried KAPPLER am 27. September 1823 in Hausen als Sohn des Georg Gottfried KAPPLER und der Katharina geb. RIETH geboren. Georg Gottfried jr. war zwei Mal verheiratet. Seine erste Frau Luise geb. AST aus Wurmberg heiratete er am 14. April 1853. Nachdem sie 1873 verstorben war heiratete er 1878 Katharina MEIER aus Merklingen. Mit seiner ersten Ehefrau hatte er ein bereits im Säuglingsalter verstorbenes Kind, mit seiner zweiten Ehefrau den Sohn Georg Gottfried. Dieser einzige Nachkomme, der nicht mehr in Hausen ansässig war sondern in Pforzheim heiratete starb 1945 beim großen Bombenangriff auf Pforzheim4.

KAPPLER wird als „Pflugwirth“ bezeichnet – der „Pflug“ war eine Gaststätte in Hausen. Dieses Gebäude steht noch heute als Haus Heimsheimer Straße Nr. 9. KAPPLER hatte dieses Haus wohl über seine erste Frau erhalten – diese dürfte die Witwe des Johann Georg KAPPLER gewesen sein, da Georg Gottfried im Güterbuch des Johann Georg als „Ehenachfolger“ bezeichnet und das Heft auf ihn umgeschrieben wurde. Der „Pflug“ war zugleich Post- und Telegrafenstation in Hausen.

Für das Jahr 1873  ist ein Wilhelm SCHÜLE als Pflugwirth eingetragen – KAPPLER hatte das Gebäude wohl  verkauft5. Zu Wilhelm Schüle findet sich auch ein Güterbuch, welches für 1873 den Kauf des Gebäudes von Gottfried KAPPLER und für das Jahr 1884 wiederum die Weitergabe an Barbara SCHÜLE Witwe angibt. Diese Verkäufe mit genauen Angaben über den Umfang des Verkaufsgegenstands sind in den entsprechenden Kaufbüchern der Jahre 1873 bzw. 1884 im Stadtarchiv nachgewiesen. Der ältesten Nachweis zum Hausener „Pflug“ kann über das "Brandversicherungscataster  zu Hausen an der Würm Oberamt Leonberg"6 aus dem Jahr 1808 erbracht werden. Darin ist Johann Georg KAPPLER als Pflugwirt aufgeführt. Anfang des 20. Jahrhunderts befand sich der Pflug in Besitz der Familie STANGER -  so ist im Adressbuch des Oberamtes Leonberg aus dem Jahr 1920 ein Eintrag zu "STANGER Albert, Metzgerei und Gasthof z. Pflug (Post- u. Telefonstelle)" zu finden7.

Zum verstorbenen Johannes REISS lässt sich lediglich über das Familienregister feststellen, dass er 1842 als Sohn des Johann Jakob REISS, Weber in Hausen geboren wurde. Zu dessen Vater Jacob REISS liegt ein Güterbuchheft vor.

 

TRANSKRIPTION

Esslingen, den 7. Decbr 1858

Note

des

Criminal Senats

des Königlichen Gerichtshofs

für den Neckarkreis

an das

Königliche Medicinal-Collegium

in Stuttgart

betreffend die Untersuchungssache

gegen den Pflugwirth Gottfried

Kappler von Hausen a.d. Würm  Oamts

leonberg, wegen Verdachts einer

durch vorsätzliche Körperverletzung

im Affekt verschuldeten Tödtung

In der nebenbemerkten Unter-

suchungssache ersuchen wir geziemend

die jenseitige verehrliche Stelle

um deren gefälliges Gutachten

bezüglich der in der

der Gerichtsärzte zu Leonberg

vom 25. d. Ms.

13.

wie uns scheint, nicht genügend

beleuchteten Fragen über den

ursächlichen Zusammenhang zwischen

dem am 9.. Nov. d.js. erfolgten

Tode des Johann Reihs von Hausen

und der ihm am 7. Oktober d. Js.

durch den verdächtigen Pflugwirth

Kappler von da zugefügten

Mißhandlung, beziehungsweise

über die Art und Schwere der-

selben.

Hiebei erlauben wir uns noch

darauf aufmerksam zu machen

daß die Alternation und Angst,

welche zu der nervösen und tödt-

lichen Krankheit des verstorbenen

Reihs beigetragen haben soll,

nach den Zeugenaussagen zunächst

nicht sowohl durch die erlittene

Mißhandlung als vielmehr durch

die Bedrohung von Seiten des Verdächtigen mit Arrest und

durch die Furcht des Reihs vor

Entdeckung der von ihm anfangs

gegenüber von seinem Vater

verheimlichte Wein-Entwendung

verursacht worden seyn dürfte.

Im Übrigen wäre uns eine,

soweit thunlich, gefällige Beschleunig-

ung des jenseitigen Gutachtens

sehr wünschenswerth, da von

letzterem hauptsächlich die Entscheidung darüber abhängt ob

etwa Kappler vor die nächsten

im Laufe des Monats Januar

1859 zu Esslingen abzuhaltenden

Assisen8 zu […] sein wird.

 

Quellen

[1] Staatsarchiv Ludwigsburg, Akten des „Medicinal-Collegiums“, Bestand E 162 I. König Friedrich stellte in Württemberg die das Gesundheitswesens auf eine neuzeitliche Grundlage. Er setzt im Organisationsmanifest von 1806 für die Verwaltung der "Medizinalanstalten und des Sanitätswesens" eine besondere Direktion, das königl. Medizinal-Department ein, das 1811 zur Sektion des Medizinalwesens und diese unter König Wilhelm im Jahr 1818 schließlich zum Medizinalkollegium umgewandelt wurde.

[2] vgl. dazu Bestand des StaA Ludwigsburg http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=2-38808

[3] Die Neuorganisation der gerichtlichen Mittelinstanz im Königreich Württemberg knüpfte an die territoriale Verwaltungsreform an, welche die bisherigen zwölf Landvogteien als administrative Mittelinstanzen durch vier Kreise (Neckarkreis, Schwarzwaldkreis, Donaukreis, Jagstkreis) ersetzte. Durch die Provinzialgerichtsverordnung vom 9. Oktober 1818 wurde in allen vier Kreisen ein

eigener und  vollständigen Gerichtshof eingerichtet.

[4] Der Dank für weiterführende Informationen geht an die Kollegin Frau Annette Nußbaum vom Stadtarchiv Pforzheim

[5] Stadtarchiv Weil der Stadt, Bestand Hausen, Gebäudekataster Hausen, ohne Signatur

[6] Stadtarchiv WdS, Bestand Hausen, ohne Signatur

[7] Stadtarchiv WdS, Bibliothek  D01 19

[8] Assisen, frz. assises, zu:asseoir = sich setzen, zu lat. sedere = (zu Gericht) sitzen, Schwurgericht und dessen Sitzungen u.a. in der Schweiz und Frankreich