Wochenblatt für Weil der Stadt und Umgegend
(Bestand Zeitschriften der Archivbibliothek Weil der Stadt, Z 40)
Quellenzusammenhang
Das Wochenblatt Weil der Stadt bildet innerhalb des Zeitschriftenbestandes des Stadtarchivs einen eigenen Bestand. Bereits ab 1837 wurde im Stadtrat Weil der Stadt die Erlaubnis zum Erscheinen eines „Nachrichten-Comptoires“ erteilt. Die Vorläuferzeitungen und Einzelexemplare des Wochenblatts für Weil der Stadt und Umgegend trugen verschiedene Titel (Local-Anzeiger Stadt Weil und Umgegend, Würmbote, Der Würmthal-Bote) und sind ab 1850 im Stadtarchiv vorhanden. Ab dem Jahr 1868 wurde der bis heute gültige Titel „Wochenblatt“ verwendet. Die Wochenblätter sind ab 1868 nahezu lückenlos bis in die Gegenwart überliefert und liegen als gebundene Exemplare im Stadtarchiv vor. Eine Benutzung der Wochenblätter ist für Jedermann vor Ort im Lesesaal des Stadtarchivs Weil der Stadt möglich.
Dabei ist der Quellenwert dieser Unterlagen äußerst hoch. Die Artikel und Anzeigen vermitteln neben Informationen über konkrete Ereignisse der jeweiligen Jahre auch einen guten Eindruck der Sozial- und Gesellschaftsgeschichte der verschiedenen Epochen. In Bezug auf das Alltagsleben der Weiler Ortsbevölkerung sind dabei insbesondere auch die Anzeigen der (Handwerks-)betriebe aber auch die Inserate der Privatpersonen von großer Bedeutung. Das Wochenblatt erschien zwei Mal wöchentlich, jeweils am Mittwoch und Samstag. Die Mittwochsausgabe umfasste in der Regel zwei Seiten, die Samstagsausgabe vier Seiten.
Erschien das Wochenblatt anfänglich im Format Groß-Oktav (27 x 20 cm) so wurde es ab 1910 im „Zeitungsformat“ (Folio, 45 x 30 cm) gedruckt und erst ab 1972 liegt es im heute gewohnten Format vor.
Hinsichtlich der Papierqualität der Wochenblattausgabe ist aufgrund der zunehmende industriellen Fertigung von Papier seit Mitte des 19. Jahrhunderts auch beim Bestand der Weiler Wochenblätter größte Aufmerksamkeit geboten: waren die Papiere früherer Jahrhunderte in Papiermühlen aus alten Textilien hergestellt („geschöpfte“ bzw. „Büttenpapiere“) und von hoher Qualität so wird die Qualität aufgrund des enthaltenen Holzschliffs in der industriellen Fertigung deutlich schlechter. Diese schlechte Qualität hat zur Folge das auf minderwertigen Papieren gedruckte oder geschriebene Archivalien größere Aufmerksamkeit bei der Bestandserhaltung und damit auch bei der Benutzung entgegengebracht werden muss – so auch bei den Weiler Wochenblättern.
Das Wochenblatt wurde im Verlauf seiner 152-jährigen Geschichte von mehreren Verlegern herausgegeben:
1868 bis 1874 Wilhelm HERMANN
1875/76 Dagobert WOLF sen.
1876/77 S. LINDENBERGER
1878 bis 1882 R. STÜTZLE
1883 bis 1906 Dagobert WOLF jun.
Die vorgestellten Mai-Ausgaben des Jahres 1923 erschienen im Verlag von Julius RAETH, der die Redaktion 1906 übernommen hatte und bis 1960 führte. Neben dem Wochenblatt druckte Julius Raeth auch Postkarten von Weil der Stadt und bemühte sich um private Druckaufträge. Neben der Druckerei betrieb Raeth eine Buch- und Papierhandlung und verkaufte Musikinstrumente und Zubehör.
Im Jahre 1960 übergab Raeth seine Betrieb an Erwin SCHARPF. Dieser druckte das Wochenblatt im Großformat bis 1972. Am 29. September 1972 erschien die letzte Ausgabe. Unter Regie von Erwin Scharpf wurde das Wochenblatt bis September 1972 herausgegeben (dabei erschien bereits zwischen 1968 und 1970 ein „Konkurrenzprodukt“ aus dem Haus Nussbaum: das „Mitteilungsblatt Weil der Stadt“ – dessen Exemplare sind ebenfalls im Stadtarchiv archiviert)
Seit dem 01 Oktober 1972 erscheint das Wochenblatt im Verlag Nussbaum.
Der Mai 1923 im Weiler Wochenblatt
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Sturz der Monarchie im Jahre 1918 versuchte man der neu entstandenen Republik mit einer Verfassung Stabilität zu bringen und sie gegen innere und äußere Gefahren zu verteidigen. Die Weimarer Verfassung wurde durch die Nationalversammlung im August 1919 verabschiedet, mit verschiedenen gesetzesvorhaben versuchte man die öffentlichen Finanzen zu stabilisieren.
Dabei waren die Jahre von 1918 bis 1923 von vielfältigen Krisen geprägt, dazu zählten zahlreiche Unruhen und Straßenkämpfe (u.a. Kapp-Lütwitz-Putsch). Bereits 1920 trat der Versailler Vertrag in Kraft, aus dessen umfangreichen Bestimmungen eine der 1923 beginnenden Krisen erwächst: der Ruhrkampf, in dessen Verlauf französische Truppen das Ruhrgebiet besetzen, während die Deutschen mit einem Generalstreik reagieren. Unter anderem in Folge des Ruhrkampfes wurde die ohnehin starke Inflation weiter angeheizt. Die deutsche Wirtschaft kollabierte, und spätestens ab August 1923 hatte das Geld keinen wirklichen Wert mehr.
Für die Berichterstattung des Weiler Wochenblattes war in der Samstagsausgabe vom 05. Mai 1923 zunächst lokale Themen auf der Titelseite. Es wurde über zwei Sterbefälle berichtet (Bahnarbeiter Johannes GAISER und die erst 39jährige Mutter Josephine SCHIROTT), ebenso wurde über die Generalversammlung der Weiler Vorschußbank, den 01. Mai, kirchliche Themen sowie natürlich das Wetter berichtet.
Mit der Ausgabe 19 vom 12. Mai war der „Ruhrkampf“ von großer Bedeutung. Zunächst wurde über den Prozeß gegen die in Folge des Aufstandes Ende März 1923 im Essener Kruppwerk (Arbeiter versuchten die Beschlagnahmung von Lastkraftwagen durch französische Truppen zu verhindern, daraufhin kam es zu Schießereien ) verurteilten Direktoren, darunter Gustav Krupp von Bohlen und Halbach berichtet. Eine Woche später titelte das Wochenblatt in seiner Ausgabe vom 19. Mai 1923: „Neuer Raubzug der Franzosen“ und „Französischer Raubzug gegen Dortmund“. Eine deutlich nationalistische Positionierung der Wochenblattartikel ist dabei festzustellen, und es wird auch in den Artikeln eine deutlich antifranzösische Stimmung erzeugt.
Neben der nationalen Politik wird im vermutlich von Julius RAETH verfassten Kommentar „Fröhliche Pfingsten“ auch die allgegenwärtige Landwirtschaft erwähnt: „Wir dürfen […] bezüglich unserer Ernteaussichten 1923 etwas erleichtert aufatmen, denn der ersehnte Regen ging reichlich nieder und belebte die Saaten ersichtlich […].“
Ebenso beschäftigt die bereits enorme Inflation den Kommentator: „[…] denn schon heute ist das Fleisch auf 7000 Mark gestiegen und unter solchen Umständen dürfte in mancher Familie der Pfingstbraten fehlen.“ Die ansteigende Inflation zeigt sich auch im Anzeigenteil der Ausgabe vom 19. Mai 1923, so kostete der Liter Milch zwischen 500 und 660 Mark, auch der Preis für Schulhefte lag bei 7000 Mark für 20 Stück – daneben liefert der Anzeigenteil interessante und aus heutiger Sicht oft auch amüsante Hinweise auf das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben der landwirtschaftlich geprägten Kleinstadt Weil.
In der Samstagausgabe des 26. Mai ist der Ruhrkampf nach wie vor das beherrschende Thema, und die Stimmungslage ist deutlich antifranzösisch: „Deutschenmißhandlung durch die französische Soldateska“ und „Keine Arbeit unter französischen Bajonetten!“
An lokalen Themen wurde unter anderem über ein Kirchenkonzert in der evangelischen Kirche anlässlich des wieder vollständigen Glockengeläuts, über die Ereignisse der Pfingstfeiertage sowie den Pfingstmarkt berichtet.