Untersuchung gegen die Hebamme Marianna Schray wegen wiederholter Totgeburt

Archival des Monats

Am 9. November 1792 wird der Chirurg Adam Siegle vor den Stadtrat berufen und zu den Umständen bei der Niederkunft der Frau des Schusters Joseph Kürner befragt, die zum zweiten Mal ein totes Kind geboren hatte. Durch die Befragung wollte der Rat in Erfahrung bringen, ob der Hebamme Marianna Schray ein Fehler unterlaufen war oder ein strafwürdiges Delikt vorlag.

Die Stadtratsprotokolle sind durch den großen Stadtbrand 1648 vollständig vernichtet worden, seit dem Jahr 1649/1650 sind sie aber lückenlos überliefert. Sie sind für die Geschichte Weil der Stadts die wichtigste Quelle. In den Ratsprotokollen sind alle wesentlichen Vorgänge, die Weil der Stadt betreffen, dokumentiert. Von besonderem Wert bezüglich ihrer Auswertung ist das jedem Band beigefügte Register. Wegen ihrer herausragenden Bedeutung hat die Stadt in einem aufwendigen Verfahren Einbände und Papier der Stadtratsprotokolle restaurieren lassen. Seit 1985 wurden so die Bände der Jahrgänge 1649/50 bis 1823 komplett restauriert.


Geburten waren vor 200 Jahren sowohl für die gebärenden Frauen wie für die Säuglinge noch mit einem hohen Risiko verbunden. Die Geburtshilfe hatte noch längst nicht die Möglichkeiten, wie wir sie heute kennen. Viele Frauen starben bei der Geburt und viele Säuglinge erreichten nicht das erste Lebensjahr.

Die Hebammen wurden vom Rat eingestellt, im Zweifel kontrollierte er sie auch. Die Hebamme bezog ein sogenanntes Wartgeld von der Stadt, ein kleiner Geldbetrag dafür, dass sie ihre Dienste zur Verfügung stellte. Für die Geburtshilfe im konkreten Fall wurde sie von der gebärenden Frau bezahlt.
 
Adam Siegle war Chirurg nicht im dem Sinne, wie wir heute den Beruf verstehen. Der Chirurg von damals hatte keine akademische Ausbildung sondern war ein Lehrberuf, der sich aus dem Beruf des Baders entwickelt hatte. Häufig hatte er auch die Berufsbezeichnung Wundarzt. Der Wundarzt und Chirurg war der Arzt der „kleinen Leute“, der kleinere Wunden versorgte und Knochenbrüche einrichtete und die Leute zur Ader ließ. Adam Siegle hatte nicht die Dienstaufsicht über die Hebamme, er wurde hinzugezogen, weil es sonst keinen Heilkundigen in der Stadt gab.


Transkription des Textes[1]:
 
„§ 387
Adam Siegle Chirurgus und Burger dahier wurde vorberufen und sein Sentiment über den Vorfall der Geburth des Joseph Kürners Schusters Ehefrau, welche zum 2tenmal ein todes Kind gebohren, vorzubringen und zu sagen, ob ein Versäumniß der Hebamme daran schuldig seyn möchte.
Ille reponirt[2]: da er zu dieser Frau berufen worden, seye das Kind schon gebohren gewesen bis an den Kopf, welcher noch im Mutterleib gewesen – allein das Kind seye schon tod gewesen. Mithin habe er nichts übrig gehabt als mittelst Anlegung der Instrumenten das Kind tod zur Welt zu bringen. Die Hebamme hätte ihm aber gesagt: das Kind habe eine widernatürliche Lage gehabt, und eine Hand zuerst angebothen, worauf sie eine Wendung gemacht und dadurch das Kind bis zu dem Kopf gewonnen habe. - Ob die Hebamme bei dieser Wendung etwas verfehlet habe oder nicht, könne er nicht sagen, weil er nicht dabei gewesen. Rätlich wäre es immer, wenn die Hebamme

[1] Buchstabengetreue Umschrift. Groß- und Kleinschreibung, Getrennt- und Zusammenschreibung  sowie Satzzeichensetzung nach heutigem Gebrauch; allgemein verständliche Abkürzungen und Konsonantenverdoppelungen ausgeschrieben.
[2] eigentlich respondiert = jener antwortet

bei schwehren Fällen selbst nichts unternähme , sondern noch in Zeiten ein Acoucheur[1] herbeigeholt würde. – Wobei dann derselbe die Nothwendigkeit einer Anstellung eines approbirten Geburthshelfers weitläufig und treffend vorstellte.
Die auch vorberufene Hebamme Mariana Schrayin äußert: Als sie morgens um 8 Uhr zu dieser Frau berufen worden, habe sie gefunden, daß das Kind eine falsche Laage gehabt und ein Ärmlein angebothen, den Kopf aber zwischen den Füßen gehabt hätte. Wannenhero eine Wendung vorzunehmen höchst nöthig gewesen. Die Frau aus Angst wegen ihrer 1ten schlimmen Geburth habe sich bis mittags um 1 Uhr dazu verstehen wollen. Endlich habe sie doch solche zustande gebracht, welches sie auch sofort getauft. Allein weiter seye es nicht zu bringen gewesen. Der pto pto[2] um 1 Uhr herbeigerufene Adam Siegle habe ohnerachtet allen angewandten Mühe es auch nicht weiter bringen können wegen der Lage des Beckens in den knochigten Theilen. Er habe ihr etwas zum Schlafen

[1] Geburtshelfer
[2] puncto puncto = deswegen

und die Krämpfe zu verhüten eingegeben, ihr auch zur Ader gelassen und solcher Gestalt das Kind ausgezogen. – Der ganze Fehler liege bey dieser Frau in der Enge des Beckens und würde es ihr, wenn sie nochmals gebähren wollte, wieder so ergehen, es wäre denn Sach, daß das Kind ganz klein seye.“