"Unnd von der lieberey zu malen .." - Stadtrechnungen im Bestand des Weiler Stadtarchivs

Archival des Monats

Neben den Urkunden, deren älteste aus dem Jahre 1386 stammt, zählen die Stadtrechnungen zu den ältesten Unterlagen des Stadtarchivs Weil der Stadt. Diese überstanden in weiten Teilen den Stadtbrand des Jahres 1648 und zählen somit zu den wenigen Quellen, die uns aus den Jahren vor besagtem "annus horibilis" 1648 der Reichstadt Weil Auskunft geben können.

Stadtrechnung 1561/1562

(unverzeichneter Bestand Reichsstadt Weil der Stadt)

Quellenzusammenhang

In der klassischen Aufteilung der Archivbestände nach Urkunden, Bänden, Rechnungen und Akten nehmen die Rechnungen eine Sonderstellung ein, obwohl sie ihrer äußeren Beschaffenheit nach eigentlich zu den Bänden zu zählen wären.

Trotzdem ist es sinnvoll und richtig, die Rechnungen in einem eigenen Teilbestand zu führen. Denn die Rechnungsführung war der erste Amtsbereich, der sich als Kämmerei oder Finanzverwaltung von der allgemeinen Verwaltungsführung abkoppelte. Bürgermeister und Rechner waren die ersten städtischen Beamten, die einen eigenen, jeweils vom anderen getrennten Bereich der Verwaltung bearbeiteten.

Diesem Umstand ist zu verdanken, dass die Rechnungen beim Stadtbrand 1648 nicht verbrannt sind, weil sie nicht im Rathaus aufbewahrt wurden. Ob sie nur vorübergehend ausgelagert waren oder ob der Schultheiß oder Stadtrechner, heute würde man sagen: der Kämmerer, seine Geschäfte generell von zuhause aus führte, darüber kann nur spekuliert werden.  Die Stadtrechnungen zählen zu den ältesten Beständen im Stadtarchiv Weil der Stadt. Sie sind erhalten ab dem Jahr 1547 und reichen damit weiter zurück als bis zum Jahr 1648, als nahezu die ganze Stadt am 20. Oktober nach der Belagerung durch französische Truppen ein Raub der Flammen wurde. Mit den Gebäuden verbrannten damals als auch fast alle schriftlichen Dokumente der Stadt – nicht aber die Rechnungen.

Neben den Stadtrechnungen gibt es auch noch eine Vielzahl an „Spezialrechnungen“, dazu zählen unter anderen die Umgeldrechnungen (1679-1801), Malzrechnungen (1707-1780), Salzrechnungen mit Beilagen (1687-1803), Pferchrechnungen (1735-1803), Mühlrechnungen (1663-1805), Möttlinger Hof-Rechnungen mit Beilagen (1761-1804), Holz- und Waldrechnungen mit Beilagen (1792-1802) oder Baurechnungen (1796-1806).

Dennoch gibt es auch Lücken in den Jahresbänden der Stadtrechnungen. 1864 erhielt Hauptmann a.D. Carl Waldemar Neumann von Christoph Gruner, Amtsnotar und eine Zeit lang Vorsitzender des Keplerdenkmal-Komitees eine Kiste mit 23 Foliobänden ausgehändigt. Neumann wollte die Bände für seine Forschungsarbeiten zur Genealogie Johannes Keplers auswerten. Als er sie 15 Jahre später der Stadt zurückgeben wollte, blieb sein Schreiben unbeantwortet. Neumann schickte die Bände deshalb ans Württembergische Staatsarchiv – daher werden diese noch heute im Hauptstaatsarchiv Stuttgart und leider nicht im Stadtarchiv Weil der Stadt aufbewahrt.

Die Stadtrechnungen wurden damals wie heute als Jahresrechnungen geführt. Heute ist der Stichtag für den Rechnungsabschluss der 31. Dezember, früher gab es unterschiedliche Stichtage, eine Zeitlang war Rechnungsschluss an Martini (11. November), dann an Ottmari (16. November), an Georgii (23. April) oder an weiteren Tagen.

Rechnungsbeilagen (Belege) wurden erst ab 1729 gesondert geführt, in früheren Jahren findet man sie vereinzelt in den Rechnungsbänden beigelegt oder miteingebunden. Die Rechnungen waren unterteilt in einen Einnahmeteil („Einnemmen Gellt) und einen Ausgabeteil („Ausgeben Gellt“). Eine Inhaltsangabe oder ein Register wurde für die Rechnungen nicht erstellt, allerdings ist die Einteilung in allen alten Rechnungen gleich oder zumindest ähnlich. Dies erleichtert die Arbeit mit dieser Quellenart.

Im Hinblick auf die für vorliegenden Rechnungsband verwendete Schrift dürfte es sich um eine Frühform der deutschen Kurrentschrift handeln, die sich wiederum u.a. aus der gotischen Kursivschrift im 16. Jahrhundert zu entwickeln begann.

Zum Binden der Bände wurden häufig makulierte (d.h. nicht mehr benötigte) auf Pergament geschriebene Handschriften der Zeit verwendet, oft nutzte man dazu früheren liturgischen Handschriften wie zum Beispiel Meßbücher („Missale Romanum“) oder auch Antiphonale. Diese „Wiederverwendung“ der einstmals (und heute wieder) wertvollen Pergamente konnte verschiedene Ursachen haben. Besonders häufig taucht diese Zweitverwertung im 16. Jahrhundert auf – in Folge der Säkularisierung im Zusammenhang mit der Reformation wurden viele kirchliche Texte überflüssig. Da man sie für den eigentlichen Bestimmungszweck nicht mehr benötigte nutzte man diese nun als Einband. Aber auch der aufkommende Buchdruck mag eine Rolle gespielt haben: so ersetzten „neue“ gedruckte Ausgaben die „alten“ handgeschriebenen. Auch vorliegender Rechnungsband ist in ein altes Pergament eingeschlagen  - nähere Untersuchungen des darauf geschriebenen lateinischen Textes, auf dem die rot geschriebenen Anfangsbuchstaben[1] gut zu erkennen sind erfolgten bislang nicht. Da die Rechnungen für die Zeit vor 1648 neben den wenigen Urkunden unsere einzige schriftliche Quelle sind geben diese Hinweise auf Ereignisse in Weil der Stadt. Zahlreiche durch die damalige Stadtverwaltung bearbeiteten Themen lösten – wie auch heute noch – einen Zahlungsvorgang aus. So finden sich in der durch das Stadtarchiv transkribierten Seite 140 r der Stadtrechnung 1562 interessante Hinweise, u.a. auf den Reutlinger Kunstmaler Jacob Salb[2]. Zu Salb schreibt der bekannte Stuttgarter Kunsthistoriker und frühere Direktor des Landesmuseums Werner Fleischhauer: „Salb hatte ein gutes technisches Können und einen frischen Farbensinn, er arbeitete oft nach Vorbildern, die er geschickt mit Eigenem zueinander zu fügen wusste“[3]

Ein weiterer interessanter Hinweis findet sich ebenfalls auf jener Seite 140. Es wurde an Pfingsten in Weil der Stadt ein Schauspiel aufgeführt, die Personen „so das Spül des reichen Mans gehalten haben“ wurden ebenfalls entlohnt. Beim 1562 abgehaltenen „Spül des reichen Manns“ könnte es sich um ein Schauspiel nach dem Motiv des im Lukasevangelium erwähnten Gleichnisses vom reichen Mann und vom armen Lazarus gehandelt haben. Einen weiteren Nachweis für eine derartige Aufführung liefert die Stadtrechnung Weil der Stadt 1617/18 (also 56 Jahre später): Am Sonntag vor dem Bartholomäustag 1618 wurde auf dem Markt eine „Comedi vom reichen man vnd arme lazarus“ gespielt[4].

Somit ist die für den Dezember vorgestellte Stadtrechnung 1561/1562 sowohl hinsichtlich ihrer äußeren Form als auch in Bezug auf den Inhalt ein äußerst interessantes Archival das verschiedene Ansätze zu weiteren Recherchen bietet.

 

[1] Die roten Überschriften oder wie hier roten Anfangsbuchstaben dienten zum Schmuck und zur übersichtlicheren Gliederung, diese werden auch als „Rubriken“ bezeichnet (lat. „rubrum“ für „rot“)

[2] Für den Hinweis auf Jacob Salb bedanke ich mich recht herzlich bei Frau Kreisarchivarin a.D. Irmtraut Betz-Wischnath, Reutlingen. Der Dank für folgenden Informationen zu Salb geht an Herrn Wolfgang Schütz: Der Maler Jacob Salb hatte in den 1560er und 1570er Jahren bis 1578 seinen Sitz in Reutlingen. Zugeschrieben wird ihm u.a. das Epitaph des Hofmedicus Dr. Martin Stürmlin (†1562) mit einer Auferstehungsdarstellung (urspr. Leonhardskirche; Stadtarchiv Stuttgart).  Spätere Arbeiten sind in der Uracher Amanduskirche ein Epitaph des Uracher Stadtschreibers Bernhard Brendlin (1569) mit der frühesten topographisch getreuen Stadtansicht von Urach und das Epitaph des Simplicius Vollmar (†1572), ferner im Württembergischen Landesmuseum das Porträt des Zwiefaltener Abts Johann Lager (1567-1577).

[3] Fleischhauer, Werner. 1971. Renaissance im Herzogtum Württemberg. Veröffentlichung der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Stuttgart: Kohlhammer.

[4] Stadtarchiv Weil der Stadt, Stadtrechnung 1617/18, Seite 172 v, 181 v, 181 r. Vielen Dank an Wolfgang Schütz für diesen Hinweis.

 

Transkription[5]

 

Ausgeben Gellt

In Gemain[6]

Item Jacob Salb Maller zu Reutlingenn

von des Pfarrers selligen Johann Kauff-

mann Eppentaffium zu malen                                                      XXVIII R

unnd von der Lieberey[8] zu malen                                                 VIII R VIII B

Uff Sonntag Jubilati

Item als ein Doctor von Franckfurt

aus ein […] einem erbarn […]

unnd den baren

der Herberg geleist thut                                                    III B II x

Uff Sonntag Cantate

Item umb abgeschrüfftem in die Canzley

genn Ulm des jüngst gehaltenen

Kreystag bezalt fünff Thaller thut                                    VII R XVIII B VIII x[7]

Uff Sonntag Exsaudti

umb Schaffzainen uff die Burgerstuben                             I B II x

Uff den Pfingstabend

aus Bewilligung Bürgermeister und

Raht geben so das Spül des reichen

Mans gehalten haben bezalt

für die selbigen Kleydern                                               II R XVI B

unnd Conrad Schreyner von solluchen

Kleydern zumachenn und für

sein Arbeit vererndt thut                                                II R XVI B

und seyhen solliche Kleydern und andere

Ding was zu sollichem Spil gehert

uff dem Steinhaus in der ober-

stuben

Aller sollichen Personnen so sollich Spil

gehaltenn geschennkth                                               VIII R VIII B   

        

 

[5] Buchstabengetreue Transkription, die Groß- und Kleinschreibung sowie die Zeichensetzung sind dem heutigen Gebrauch angepasst.

[6] „In gemain“ hier: Verschiedenes

[7] Reichstaler, Batzen, Kreutzer

[8] "Lieberey" steht hier für "Bibliothek" (liberei, f. büchersammlung, aus dem lat. libraria, liberaria übernommen; die gelehrtere und sorgfältigere form ist librarei: librarey, libraria, bibliotheca, aus: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm GRIMM). Welche Bibliothek in Weil hier gemeint ist und was SALB dort malte ist derzeit unklar