Türkenmusik und Verkleidungsverbot 1768

Archival des Monats

Das Gemeinderatsprotokoll vom 15.1.1768 berichtet über eine Auseinandersetzung zwischen dem amtierenden Bürgermeister und dem Stadtschultheißen, die sich in der Bewertung einer Bürgeraktion nicht einig waren. Der Hintergrund des Streits ist, dass einige Bürger an einem Sonntag abend eine „Türkenmusik“ veranstaltet und sich verkleidet haben, was ihnen umgehend vom Schultheißen untersagt wurde. Die Bürger haben ihre „Türkenmusik“ am folgenden Abend wiederholt. Vorher hatten sie sich allerdings an den amtierenden Bürgermeister gewandt, der die die Aktion genehmigt hat. Darauf wurden sie vom Schultheißen aufs Rathaus befohlen und verhört, was wiederum den Amtsbürgermeister auf den Plan rief, der sich in seiner Autorität beschnitten sah. Ein typischer Streit um Einfluss und Macht also.

Die „Türkenmusik“ oder Janitscharen-Musik kommt im 18. Jahrhundert in Fasnachtsgemeinden auf. Dazu treffen sich Leute, die sonst im Gottesdienst ein Instrument spielten, vorzugsweise Horn, Posaune, Trompete, ergänzt durch Trommel, Becken, Triangel oder Schellenbaum, auf der Straße zu einem Spontankonzert, das in aller Regel sehr laut geriet. Diese „Türkenmusik“-Gruppen können durchaus als Vorläufer der Musikvereine betrachtet werden.

Die Stadtratsprotokolle sind durch den großen Stadtbrand 1648 vollständig vernichtet worden, seit dem Jahr 1649/1650 sind sie aber lückenlos überliefert. Sie sind für die Geschichte Weil der Stadts die wichtigste Quelle. In den Ratsprotokollen sind alle wesentlichen Vorgänge, die Weil der Stadt betreffen, dokumentiert. Von besonderem Wert bezüglich ihrer Auswertung ist das jedem Band beigefügte Register. Wegen ihrer herausragenden Bedeutung hat die Stadt in einem aufwendigen Verfahren Einbände und Papier der Stadtratsprotokolle restaurieren lassen. Seit 1985 wurden so die Bände der Jahrgänge 1649/50 bis 1823 komplett restauriert.


Transkription des Textes[1]:
 
„§ 10
Herr Amtsburgermeister Jacob Ferdinand Fritz gravierte sich contra Herrn Stadtschultheißen Philipp Jacob Rothacker, daß derselbe dieser Tagen ein Examen mit denenjenigen Burgern, welche am Sonntag abends und montags darauf eine türkische Music gemacht haben, vor dem Schultheißenamt angestellt habe, da er doch als Amtsburgermeister denen Burgeren am Montag erlaubet habe, nun solche türkhische Music zu machen, und begehrte demnach hierüber von dem

[1] Buchstabengetreue Umschrift. Groß- und Kleinschreibung, Getrennt- und Zusammenschreibung  sowie Satzzeichensetzung nach heutigem Gebrauch; allgemein verständliche Abkürzungen und Konsonantenverdoppelungen ausgeschrieben.

Herrn Stadtschultheißen Satisfaction zu verschafen, weil dies dem Amtsburgermeisteramt zum Tort[1] und Nachtheil geschehen seye.
Dargegen Herr Stadtschultheiß excipirte: Herr Amtsburgermeister Fritz seye in einer irrigen Meinung, und dieses demselben keineswegs zum Tort geschehen , sondern als am letstverwichenen Sonntag die Burgern eine türkhische Music gemacht und großer Auflauf und Tumult zu nachts dardurch confiert worden, habe er (Herr Schultheiß) um diesen Tumult auf der Gaßen abzustellen, disen Burgern abgebotten[2] und weilen diese Burgern bey Machung dieser türkhischen Music sich unerlaubterweise verkleidet haben, so habe er (Herr Schultheiß) diese Burgern wegen der Verkleidung abgestraft, bey welcher Abstrafung Herr Raithle zugegen gewesen seye. Wobey das Schultheißenamtsprotocoll vom 13ten dies [Monats]  verlesen worden ist.

[1] Jemandem einen Tort antun = ein Unrecht antun
[2] Jemandem abbieten = jemandem etwas verbieten

Darauf Herr Stadtschultheiß sich berufen und beweisen wollen, daß er dem Herr Amtsburgermeister Fritz dies nicht zur Tort gethan, sondern aus seiner heiligen Meinung gethan habe.
Bescheid
Alldieweilen eine ehrliche Recreation[1] und Lustbarkeit jedem Burger dahier erlaubet seye und die Music eine solche Recreation ist, als seye dem Herrn Stadtschultheißen nicht zugekommen, denen Burgeren die Music zu verbietten und ebenso wenig denen Burgern die Appelation an Rath zu versagen, da aber Herr Amtsburgermeister Fritz die Nachricht und Wißenschaft gehabt haben könnte, daß dises Aufspillen von Herrn Stadtschultheißen verbotten worden seye, wäre wohl daran geschehen und hätte hochlöblicher Magistrat gern gesehen, wann Herr Amtsburgermeister Fritz Tags darauf das Aufspillen nicht erlaubt hätte, umb die

[1] Erholung, Entspannung

üble Folgen und Ärgernuß bey der Burgerschaft zu verhütten und ehevor hochlöblicher Magistat eine Anzeige davon gemacht hätte, weil es böse Consequenzen nach sich ziehet, wann die obrigkeitliche stabführende Personen einandern contrare Sachen befehlen, facta publicatione[1] begehrte Herr Amtsburgermeister Fritz Extractum sententio[2], da aber die Zeit bereits verfloßen, verbliebe dieses Petitum bis zur nächsten Raths-Session ausgestellt, und da es allerdings ein Uhr ware, wurden auch Ferdinand Rattenmann, David Gall, Färber, Johannes Pringer und Peter Josef Fritz, ledig, welche nach dem Vertrag des Herrn Amtsburgermeister Fritzen Satisfaction zu begehren vor Rath verlangten, für dismal nacher Haus gewiesen. Bey disem Vorgang wurde vom Syndico angemerkhet, daß die Appelation nur allein in Civilibus- und Justitz-Sachen, nicht aber in Poenalibus- und strafbaren Dingen statt und Platz habe.“

[1] Beschlagnahmehandlungen
[2] Auszug aus dem Erlass, hier: Protokollauszug