Tagebuchfragemente eines Weiler Landwirts
Archival des Monats
Für den August wurde aus dem Bestand NL – Kleine Nachlässe und Dauerleihgaben das Fragment eines Tagebuchs unbekannter Herkunft ausgewählt.
Neben der amtlichen Überlieferung, die auf Grundlage des Landesarchivgesetzes für einen steten Zuwachs an Akten und Unterlagen in den Kommunalarchiven sorgt sind die aktiv oder passiv eingeworbenen Sammlungen ein wichtiger Teil der Archivbestände.
Zum Sammlungsgut gehören neben der Dienstbibliothek auch Bildersammlungen, zeitgeschichtliche Sammlungen (zum Beispiel Vereinszeitschriften und Festschriften) und Zeitungsausschnittssammlungen der örtlichen und regionalen Tagespresse. Weiterhin finden auch orts- und regionalgeschichtliche Materialien aus Privatbesitz Eingang in die Bestände eines Stadtarchivs. Es ist oft beachtlich, welche Fülle an Informationen von Privatpersonen in deren Freizeit und/oder aus beruflichem Interesse sowie in Zusammenhang mit ehrenamtlichem Engagement entstehen. Auch bei alteingesessenen und über mehrere Generationen in den jeweiligen Kommunen ansässigen Familien finden sich oftmals äußerst interessante Bestände zur Ortsgeschichte – hier sind unter anderem private Fotoalben zu nennen.
Unterlagen aus Privatbesitz gelangen entweder als Vorlass (zu Lebzeiten des Sammlers) oder als Nachlass in den Besitz eines Archivs.
Dabei kann es vorkommen, dass durch die Mitarbeiter eines Stadtarchivs die Unterlagen aktiv eingeworben werden. In vielen Fällen werden diese Materialien den Archiven – oft nach dem Tod des Sammlers – von den Hinterbliebenen angeboten.
Das Stadtarchiv Weil der Stadt verfügt neben den „großen“ Nachlässen aus Vereinen und Institutionen sowie Privatpersonen (u.a. Nachlässe von Buchbinder Anton Gall, oder auch Heimatforscher Dr. Siegfried Schütz) über einen Bestand „Kleine Nachlässe“. Bei den „Kleinen Nachlässen“ handelt es sich um meist nur sehr wenige Materialien, zum Beispiel bestehend aus privaten Unterlagen wie Ausweisdokumenten, Briefen (auch Feldpost), Fotografien (Fotoalben) oder auch privaten Aufschrieben wie Tagebucheinträgen oder Erinnerungen.
Ebenso wie die amtlichen Unterlagen müssen die Materialien eines Nachlasses intensiv gesichtet und geordnet werden. Nach Möglichkeit werden die Materialien dann erschlossen, d.h. über ein Datenbanksystem erfasst und sind somit innerhalb des Archivbestandes auffind- und nutzbar. Nachlässe werden ebenso wie übriges Archivgut für verschiedenste Recherchen herangezogen.
Für das Archivale des Monats August soll aus dem Bestand NL – Kleine Nachlässe und Dauerleihgaben ein Tagebuchfragment vorgestellt werden. Dieser Nachlass mit der Signatur NL 37 besteht aus losen Seiten eines Tagebuchs.
Der Nachlassgeber sowie die Übergabe an das Stadtarchiv Weil der Stadt sind nicht mehr nachzuvollziehen. Dies ist bei Nachlässen eher unüblich, aber nicht ausgeschlossen.
Es handelt sich dabei um fünf losen Seiten. Vorder- und Rückseite sind beschrieben. Die Blätter sind an den Rändern leicht angebräunt. Die Qualität des handgeschöpften vorindustriell hergestellten Papiers sowie der gesamte Erhaltungszustand sind gut. Die Tagebucheinträge entstammen ausnahmslos den Jahren 1825 und 1826, behandelt werden Themen wie die Getreideernte oder der Grundstückserwerb. Private Informationen über den Namen des Schreibers oder seine Familie sind zumindest auf den fünf erhaltenen Seiten nicht zu entnehmen. Vornehmlich werden Informationen zum landwirtschaftlichen Betrieb festgehalten (vermutlich um die Betriebsergebnisse zu verbessern). Ob das komplette Tagebuch nur ein „Betriebstagebuch“ war oder ob auch weiterführende Informationen zu lokalen oder familiären Ereignissen enthalten waren ist leider unbekannt.
Auf Blatt 1 beginnen die Aufzeichnungen mit dem Kommentar zu einem Hochwasser („…wurden von den Fluthen bespült.“) Angaben zum Zeitpunkt der Überschwemmung sind nicht vorhanden. Da der nächste Eintrag auf Juli 1825 datiert ist das Frühjahr bzw. der Sommer 1825 als Zeitpunkt des Hochwassers
anzunehmen.
Auf den folgenden Seiten notierte der Schreiber Angaben zu seinen Erntemengen in den Jahren 1825 und 1826. Im 19. Jahrhundert wurde das Getreide nach der Mahd zu Garben gebunden, möglichst trocken in die Scheunen verbracht und im Verlaufe des Herbstes dort gedroschen. Unser Schreiber hat dabei zum Beispiel im Oktober/November 28 Scheffel Dinkel und sechs Simri Weizen ausgedroschen.
Scheffel und Simri waren im 19. Jahrhundert gebräuchliche Hohlmaße. Ein Simri betrug ca. 44 l, acht Simri ergaben dabei ein Scheffel, dies sind also ca. 9856 l Dinkel. Da das spezifische Gewicht von Weizen ungefähr 40 kg pro 1000 l Volumen beträgt (Dinkel ist eine dem Weizen nah verwandte Getreideart, muss jedoch vor dem mahlen "entspelzt" werden) hatte unser Weiler Landwirt ungefähr 394,24 kg Dinkel erhalten. Je nach Ausmahlungsgrad[1] konnte er für diese Kornmenge sicherlich über 300 kg Mehl erhalten.
Weitere Ernteerträge sind ebenfalls auf den Seiten 1 und 2 angegeben – darunter auch Gerste und Hafer. Es herrschten demzufolge Anfang des 19. Jahrhunderts dieselben Getreidearten vor wie heute, wobei Dinkel damals noch häufiger vorkam als heute (wobei die Beliebtheit des Dinkels in den letzten Jahren wieder deutlich zunimmt)
Weiterhin werden diverse landwirtschaftliche Grundstücksgeschäfte und Pachtverhältnisse beschrieben. Die hier vorkommenden Personen- und Flurnamen ordnen das Tagebuch eindeutig Weil der Stadt zu.
Leider fehlen sämtliche Angaben zur Person des Tagebuchschreibers – somit können nur wenige Aussagen über Stand und wirtschaftliche Verhältnisse des Tagebuchschreibers getroffen. Auch eine Einordnung in den Kontext der Jahre 1825 und 1826 ist schwierig, könnte aber mit einigem Aufwand erfolgen.
Nichtsdestotrotz ein interessantes Archival, welches uns im August 2020 passend zur Erntezeit als Beispiel für eine ursprünglich aus Privatbesitz stammende lokalgeschichtlich interessante Information dient.
TRANSSKRIPTION
[2]
Sogar einige Aeker hinter dem GottesAker
Wurden von den Fluthen bespült. Glücklicher
Weise sind weder Menschen noch Vieh am
Leben verunglükt.
____________
1825 July Reps geheimst
5 ½ Vtl im Unterihinger Weg
2 […]aufm Heinrichsberg am Waasen
______
8 Vtl geben 4 Schef. 1 Sri
______________
Roggen geheimst
2 Vtl aufm Waasen geben 24 Garben
Diese geben 14 Simri
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1825 . den 24. Juli von Michl Nestler Reps gekauft
22 Sri a f 12.30 Scheff. F 34.22
1826.Febr: 17. Habe ich bei der Güter
Versteigerung für Carl Gaudys Pflege
Folgende im Aufstreich erhalten
Von 5 [… im Unterihiger Weg die
Hälfte neben David Müller u. mir selbst
Unter vorherrschenden Bedingung an um f 248.
1 Vtll Wiesen bei der Lohmühle
Neben mir selbst f 172
2 Vtl Wiesen, die Schütz gestaigert,
u wofür ich nun in den Kauf einstehe f 340
_____
f 760
wovon um 1/3 tel baar u 2/3 tel
in verzinslichen Zielen zu bezahlen ist
1826 Zelg Ihingen
Dinkel geheimst heim
1 Morgen im Renninger Backen 115 Garben
3 […] in Detto 83 Detto
5 ½ im Unterihinger Weg 178
__________
376 Garb.
Zelg Hochstraße heim
12 Morgen im Heugern mit Gerste 54 Garb.
3 […] im Pfädle 75 “
3 “ am krummaker 75
1 Morgen am Schafsrhain 117
__________
246 Garben
Zelg Thalacker
1 Morgen am Blosenberg mit Gersten & Weizen
106 Garb heim
1826 Dinkel getroschen
Aug 31. 60 Garben geben nebst Abzug 38 Sri
Octob 17. 60 Do 34 “
Novb 4. 60 Do 33 “
6. 60 “ 35 “
7. 60 “ 36 “
8.
9. 90 “ 48 “
Hat geben 28 Scheffel
u. 6 Sri Waizen
Novb. 10./11. Gerste getroschen u hat geben 5 ½ Scheffel
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Haber getroschen
Nov 13. 56 Garben geben 32 Sri
14. 56 “ “ 34 “
15. 56 “ “ 34 “
16. 51 “ “ 34 “
Hat geben 16 Scheffel 6 Sri
1826 Juny vermiethe an den […] Gaudy folgenden Plaz
In meiner großen Scheuer auf 1 Jahr.
1. die Remise nebst dem Stall u. dem
Untern Boden, u obersten Boden gegen
[…] Miethezins von f 14 jährlich
1827 den Hauszins alt
1827 Sept: Uebernahme der Pacht
Von dem Stadt graben Stük zwischen der Klee
Meisterei u dem Thurm neben meinem Garten
Von Anton Knäter (?) Kleemeister um f 3.6
u geben ihm einstweilen zur Nuznießung
Meines Krautgarten auf 6 Jahr.
Obige Pacht hat 1825 angefangen, u dauert 2 Jahre
B. da ich obiges Stadtgraben Stük nicht eigen-
Thümlich im Weg der Versteigerung erhalten
Konnte, so gebe den Pacht wieder an Kräter ab
J.G. Schöninger Buchbinder
1 Morgen im Malmsheimer Pfad f 86
Ph:Jacob Preisle Schneider f 35
Claudy Gaudy Conditor
1 Morgen in Sindelfinger Weg f 95
Dagobert Gall Gerber
½ Vtl Wingert im Waldenberg f 27
Ferdinand Sigle Adlerwirth
12 ½ Ruth: Krauthgarten f 38
Christian Schray Todengräber
1 Krautland f 10.30
1826 Februar 7. Vertauschte an
Joseph Schütz Löwenwirth
1 Morgen Aker im Mönichslau
2 vtl Wiesen im Schießrain
[1] Je nach Quellenangabe kann bei Weizen in heutigen Zeiten von einem Ausmahlungsgrad von 60 bis zu 83 Prozent ausgegangen werden (je nach Mehltype). Für Dinkel erreicht man heute bei hellen Mehlen einen Ausmahlungsgrad von bis zu 80 %, jedoch durfte die Mehlqualität Anfang des 19. Jahrhunderts auf einer groben Ausmahlung beruht haben, hier sind Mehlmengen von über 90 % der Kornmasse denkbar. Ich danke Herrn Armin Klammer, Müllermeister i.R., für seine Hinweise.
[2] Buchstabengetreue Umschrift. Groß- und Kleinschreibung, Getrennt- und Zusammenschreibung sowie Satzzeichensetzung nach heutigem Gebrauch; allgemein verständliche Abkürzungen und Konsonantenverdoppelungen ausgeschrieben. Nicht zu entziffernde Wörter oder Auslassungen in eckige Klammern gesetzt