Streitsache Bäcker Schöninger gegen Bäcker Hermann, 1915

Archival des Monats

Bäckermeister Franz Schöninger wendet sich im Mai 1915 mit seiner Beschwerde wegen Beleidigungen und wegen der Misshandlung seiner Kinder direkt an das Oberamt Leonberg, die dem Stadtschultheißenamt Weil der Stadt übergeordnete Behörde, weil er annimmt, dass die hiesige Stadtverwaltung seiner Beschwerde nicht mit dem nötigen Nachdruck verfolgt. Schöninger glaubt, dass sein Kontrahent und Nachbar Bäcker Hermann bevorzugt behandelt wird, weil dieser und Verwaltungsaktuar Hermann Schütz dieselbe Schulklasse besuchten. Vom Oberamt wird die Streitsache aber umgehend an das Stadtschultheißenamt Weil der Stadt zurückverwiesen, das die Kontrahenten befragt und ihnen Strafen androht, wenn sie ihre Streitereien nicht beenden. Offenbar ließ das Weiler Rathaus in diesem Fall tatsächlich den nötigen Eifer vermissen, denn Schöninger sieht sich 2 Wochen später genötigt, die Behandlung seiner Beschwerde beim Oberamt anzumahnen.

Die Gemeinderatsprotokolle Weil der Stadt sind im Stadtarchiv von 1650, der Zeit nach dem Stadtbrand, bis heute lückenlos vorhanden. Gab es schriftliche Dokumente, die zur näheren Erläuterung eines Gemeinderatsbeschlusses aufbewahrt werden sollten, so wurden diese als Beilagen zu den Gemeinderatsprotokollen abgelegt. Dies betrifft einen Zeitraum, als es noch keine Sachaktenregistratur gegeben hat. In der Stadtverwaltung Weil der Stadt hat es zwar schon 1884 einen nach inhaltlichen Kriterien strukturierten selbst erstellten Aktenplan gegeben, eine Sachaktenablage setzt hier aber erst mit dem in Württemberg 1928 eingeführten Aktenplan nach Hugo Flattich ein. Ältere Aktenvorgänge bis etwa 1870 zurück wurden nach Einführung des Flattich-Aktenplans im Nachhinein dieser Registraturschicht zugeordnet.
Die Beilagen zu den Gemeinderatsprotokollen sind leider sehr lückenhaft, es gibt sie nur für wenige Jahrgänge. Eine vollständige Übersicht über die Beilagen zu den Gemeinderatsprotokollen steht noch aus.
(Beilagen zu den Gemeinderats-Protokollen Weil der Stadt 1881-1915, unverzeichnet)



Transkription[1]
 
„Weilderstadt den 6. Mai 1915
 
Königliches Oberamt Leonberg
 
Unterzeichneter sieht sich genötigt, folgende Anfrage beim Königlichen Oberamt einzureichen. Von der Familie des Bäckers Hermann werden wir seit längerer, insbesondere letzter Zeit auf eine Weise belästigt, wie es auf die Dauer nicht zu ertragen ist. Von seinen größeren Kindern werden die meinen geschlagen. So stand am 12. April einer seiner Buben dem meinem 2 mal auf dem Weg und schlug ihn ins Gefecht. Wenn meine Kinder im Hof sind, werden sie mit Steinen beworfen, so erst diese Woche wieder. Als meine Frau von der Beerdigung einer Hospitalitin am 7. April heimgieng, wurde ihr schmutziges Wasser aus dem Fenster heraus nachgeschüttet und zwar aus der Backstube, wo sich die ganze Familie vorschriftswidrig aufhält. Als Zeugen können noch 2 Personen genannt werden, denen es es ebenso gemacht. Bei jeder Gelegenheit, wo sich meine Frau sehen läßt, wird geschimpft, so zum Fenster heraus und auf öffentlicher Straße. Die
 
 „Dem Schultheißenamt Weil der Stadt zur geneigten Verfügung.[2]
Leonberg, 7.5.15     Königliches Oberamt          Brodbeck“
 
„Stadtschultheißenamt Weilderstadt[3]
am 8. Juni 1915
Eugen Hermann, Bäcker hier
Daß meine Kinder die Kinder des Schöninger geschlagen haben, ist möglich, weil ich meinen älteren Kindern, die von den Kindern des Schöninger mit Steinen geworden wurden, wobei meinem kleinen 2 ½ jährigen Knaben beinahe das Auge ausgeworfen wurde, gesagt habe, sie sollen den Kindern, wenn sie mit Steinen werfen, die Köpfe verschlagen. Die Frau Schöninger hat mein Frau ein Fabrikmensch geschimpft, obwohl meine Frau nie in einer Fabrik gearbeitet hat. Daß ich dem Schöninger nicht besonders gewogen bin, ist erklärlich, nachdem er mich durch Anzeige beim Landjäger in eine Strafe von 20 Mark gebracht hat. Der Landjäger ist auch schon wegen dieser Schimpfereien bei mir gewesen.“
[1] Buchstabengetreue Transkription, die Groß- und Kleinschreibung sowie die Zeichensetzung sind dem heutigen Gebrauch angepasst, allgemein verständliche Abkürzungen ausgeschrieben, sonstige Abkürzungen, Textergänzungen oder Erklärungen in eckigen Klammern
[2] Verfügung des Oberamts an das Stadtschultheißenamt Weil der Stadt zur weiteren Bearbeitung des Falls
[3] Protokoll der Befragung des Eugen Hermann durch das Schultheißenamt Weil der Stadt


Ehefrau des Bäcker Herrmann leistet hier Großartiges. Wenn die Betreffende nur an meinem Hause vorbbeigeht, äfft sie noch zum Fenster herein, steht stundenlang vor oder auf die gegenüberliegende Kirchenstaffel mit Stickzeug oder kleinem Kind, womit eine Geschäftsschädigung meinerseits bezweckt ist. Denn wenn eine andere Bäckersfrau vor dem Hause Schildwach steht, geht nicht jedes in meinen Laden herein. Das dürfte jederman klar sein. Als meine Frau am 18. April abends 7 Uhr Milch holen gieng, schimpfte Bäcker Hermann zum Fenster heraus. Auf dem Rückweg stand er vor seinem Hause, gieng dann mit Schelten: „Lumpencor[1], Bürstenbindercor, Scherenschleifercor“ dicht hinter ihr über die Straße. Als sich meine Frau umwendete, drohte er: „Soll ich Dir ein paar ins Gesicht neinschlagen?“ Wenn dieser Mensch die Frechheit hat, auf offener Straße, am hellen Tage, meiner Frau zu drohen, was wird er sich dann erlauben, wenn ihm meine Frau auf freiem Felde begegnet, den ich treibe auch Landwirtschaft. Durch Gemeinderatsbeschluß ist dem Bäcker Hermann ein Holzlagerplatz vor meinem Hofe gestattet. Während des Ausspaltens und Schichten des Holzes, was sich des Jahres öfter wiederholt, kann ich kein
 
„Dem Hermann wird eröffnet, daß die gegenseitigen Schimpfereien zur Strafe wegen Ruhestörung und Beleidigung führen und daß er in seinem Interesse aufgefordert werde, für seine Person sowohl als seine Familienangehörigen dahin zu wirken, daß alle Schimpfereien und Beleidigungen künftig unterbleiben.
Anerkannt
Eugen Herrmann“[2]
 
„Dem Schöninger wird dasselbe wie Hermannn eröffnet und weiter noch hinzugefügt, daß er im Falle einer wiederholten Beleidigung Antrag auf Sühneversuch zwecks Geltendmachung einer Privatklage wegen Beleidigung zu stellen habe.
Anerkannt
Franz Schöninger
 
Zur Beurkundung
Stadtschultheißenamt Beyerle“
[1] Kor = Pack, Bande
[2] Belehrung der streitenden Parteien durch das Stadtschultheißenamt mit Bestätigung durch Unterschrift


Kind in den Hof lassen. Das Spalten nimmt immer mehrere Tage in Anspruch, öffnet meine Frau im Schlafzimmer ein Fenster zum Lüften, wird heraufgeschimpft, so auch mir gegenüber, wenn ich über den Hof in Scheuer oder Stall gehe. Auf meine Beschwerde beim Stadtschultheißenamt wegen der Zufahrt sperren und des Schimpfens erhielt ich die Antwort: „Durch Gemeinderatsbeschluß vom 14. Mai 1912 ist dem Hermann die Lagerung seines Brennholzes usw. gestattet.“ Kann der W.[ohllöbliche] Gemeinderat auch beschließen, daß ich mich so lange schimpfen und alle Bosheiten gefallen lassen muß, so lange Hermann Holz spaltet? Ausdrücke wie „Der Hof geht Dich einen Scheißdreck an, so ein Halbdackel, dieser Schindmäre sollen die Füße abfaulen“ (gemeint ist meine Frau) möge zur Carackterisirung der Sache dienen. Auf dem Rathaus scheint Bäcker Hermann viel Hilfe zu haben, denn er schrie damals im Hofe: „Der kann 20 mal auf Rathaus springen!“ Mit seinem Schulkameraden Herrn Verwaltungsaktuar Schütz brüstet er sich ja immer. Gibt es hier keinen Rechtschutz, kein Gesetz, das diesem brutalen, frechen und gemeinen Treiben ein Ende macht? An


Justiz oder Behörde soll ich mich wenden? Geneigter Auskunft entgegensehend zeichne
Hochachtungsvoll
Franz Schöninger
Bäckermeister“


„Weil der Stadt, den 24. Mai 1915
Königliches Oberamt Leonberg
 
Erlaube mir anzufragen, warum ich auf meine Anfrage datirt bom 6. Mai noch keine Antwort erhalten
Hochachtungsvollst
Franz Schöninger
Bäckermeister“
 
„Dem Stadtschultheißenamt Weilderstadt
zu Erledigung bzw. Eröffnung dem Schöninger, daß seine Eingabe dem Stadtschultheißenamt zur Erledigung überwiesen worden sei
Leonberg, 25.5.15   Königliches Oberamt          Brodbeck“