(Bestand Weil der Stadt - Rechnungen)
Quellenzusammenhang
In der klassischen Aufteilung der Archivbestände nach Urkunden, Bänden, Rechnungen und Akten nehmen die Rechnungen eine Sonderstellung ein: obwohl sie ihrer äußeren Beschaffenheit nach eigentlich zu den Bänden zu zählen wären bilden sie eine eigene Bestandsgruppe.
Denn die Rechnungsführung war der erste Amtsbereich, der sich als Kämmerei oder Finanzverwaltung von der allgemeinen Verwaltungsführung abkoppelte. Bürgermeister und Rechner waren die ersten städtischen Beamten, die einen eigenen, jeweils vom anderen getrennten Bereich der Verwaltung bearbeiteten.
Neben den „klassischen“ Stadtrechnungen, die bereits verschiedentlich als Archivale des Monats vorgestellt wurden und im Stadtarchiv ab 1547 vorliegen, gibt es auch noch eine Vielzahl an „Spezialrechnungen“ wie die Umgeldrechnungen (1679-1801), Malzrechnungen (1707-1780), Salzrechnungen mit Beilagen (1687-1803), Pferchrechnungen (1735-1803) und noch weitere. Zu diesen „Spezialrechnungen“ gehören auch die Rechnungen der 15 geistlichen Pflegen. Bei diesen 15 Pflegen handelte es sich um Pfründen, die eingerichtet bzw. gestiftet wurden um einen Geistlichen zu bezahlen. Vereinfacht gesagt kann davon ausgegangen werden, dass in Weil der Stadt zeitweise bis zu 15 Geistliche wirkten – deren Einkommen, die eigentliche Pfründe, wurde gestiftet bzw. deren Finanzierung wurde durch Abgaben etc. sichergestellt. Die Abrechnung dieser Pfründen erfolgte über die 15 geistlichen Pflege.
Der Ursprung der Pfründen ist sicherlich in der ausgeprägten Frömmigkeit des Mittelalters zu suchen. Letztlich war es diese Frömmigkeit, die in der Amtskirche zu selbst aus damaligem Blickwinkel völlig unvernünftigen Auswüchsen wie dem Ablasshandel führte und letztlich Martin Luther zu seinen Thesen trieb.
Die Gesellschaften aller europäischen Staaten waren christlich und tief religiös geprägt. Der Glaube und die Religion bot nach „Vermittlung“ durch die Kirche den einzig sicheren Ausweg vor den alltäglichen existenziellen und massiven Bedrohungen, denen sich alle Teile der Gesellschaft und insbesondere die Vertreter des dritten Standes ausgesetzt sahen: Krankheit und Tod, ausgelöst durch aus heutiger Sicht harmlose Erkrankungen, Hunger durch Missernten und Naturkatastrophen sowie die ständige Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen. Das von der Kirche angebotene Heilsversprechen war für viele Menschen der einzig sichere Weg, diesem ständig unmittelbar drohenden Lebensende zu begegnen. Daher nahmen die Menschen im Rahmen ihrer Möglichkeiten jede Form der Heilsversicherung, die ihnen die Kirche versprach, dankbar an. Besonders in den Städten versuchte das Bürgertum durch ein immer stärkeres Engagement in frommen Werken einen größeren Erfolg bei der Sicherung des (persönlichen) Heils zu erlangen. Dabei kam es auch zu einer Fiskalisierung kirchlicher Handlungen: neben den allseits bekannten Ablässen konnten gegen die Zahlung von Geld fromme Handlungen und somit ein größeres Maß an Seelenheil erlangt werden.
Dazu gehörten auch Stiftungen verschiedenster Art wie zum Beispiel Reliquien oder eben Altarpfründen. In diesem Zusammenhang ist vermutlich auch die Entstehung der 15 geistlichen Pflegen in Weil der Stadt zu sehen. Diese führten zu folgenden Weiler Altarpfründen:
1. der Altar Santci Nicolai
2. der Altar unseren lieben Frauen
3. der Altar Sancti Laurentii
4. der Altar alle Heiligen
5. der Altar Sanctae Agnetis
6. der Altar Sanctae Catharinae
7. der Altar unserer lieben Frauen
8. der Altar Sanctae Dorotheae
9. der Altar Sanctis Michaelis
10. der Altar Sancti Andreae
11. der Altar Sancti Crucis
12. der Altar Sancti Johannis Baptistae
13. der Altar Sancti georgi
14. der Altar Sanctae Agnetis
15. der Altar Sancti Sebastiani
Wann genau die einzelnen Pfründen gestiftet wurden ist nicht bekannt. Im Laufe der Zeit verringerten sich wohl die Einkünfte der einzelnen Pfründen, und es wurden diese dann auch für weitere kirchliche Zwecke wie dem Unterhalt von Baulichkeiten oder der Anschaffung/Erneuerung des Ornates genutzt. Erst im Jahre 1802 wurden die 15 geistlichen Pflegen mit der eigentlichen Kirchenpflege, d.h. der St. Peters Pfarrkirchenpflege zusammengeführt.
Der Bestand dieser Pflegrechnungen im Weiler Stadtarchiv reicht von 1680 bis 1802. Sicherlich waren auch hier ebenfalls gravierende Verluste im Zuge des Stadtbrands zu verzeichnen so dass man vermuten kann das auch für die Jahrhunderte zuvor Rechnungen vorlagen.
Neben dem Inhalt, der rechnerisch trocken Auskunft über Einnahmen und Ausgaben der jeweiligen Pflege liefert, ist auch die äußere Form der Rechnungen nicht uninteressant. So ist der erste vorliegende Rechnungsband aus dem Jahr 1680 eingebunden in ein Notenblatt eines Graduale, d.h. eines Gesangbuches für die Gregorianischen Choräle innerhalb der heiligen Messe.
Der auf diesem Einband zu sehende Liedtext ist ein Choral dessen erste Zeile „Pascha nostrum immolatus est“ (Unser Paschalamm, Christus, ist geopfert worden, Halleluja.) lautet – der Text entstammt dem AT, eine schöne Interpretation dieses Chorals steht über die Videoplattform Youtube online zur Verfügung: https://www.youtube.com/watch?v=sbLeQ-2YSCY
Der Band mit dem Text des Chorals wurde – aus welchen Gründen auch immer - offenbar nicht mehr benötigt und daraufhin in Form dieses Einbands „wiederverwertet“. Neben den liturgischen Liedtexten wurden auch häufig Teile des Missale Romanum als Einband verwenden, so auch bei den Rechnungen der 15 geistlichen Pflegen
TRANSKRIPTION[1]
Rechnung
Herrn Hans David Gall, und Herren
Hans Peter Hohenstein, Schultheiß und
Rhatsverwandten, als Pfleger der fünffzehn
vacierenden gaistl. Pfründen, der Praesenz
Pfleg, des Rural Capitels, der großen Brud-
derschaft, was dieselbe von obbeditur ge
sambten Pflegen wegen, eingenommen, und
wider ausgegeben haben.
Von circumcisionis Domini[2]
1680 bis 1681
Der praesentia Hr. Decani und Pfarrherr
Elias Eble, auch gegenwarth eines gantzen
ersamen Rhats […] Juniy 1681 angehört
guotgeheißen und bede Pfleger bestetige-
et worden.
[1] Buchstabengetreue Umschrift. Groß- und Kleinschreibung, Getrennt- und Zusammenschreibung sowie Satzzeichensetzung nach heutigem Gebrauch; allgemein verständliche Abkürzungen und Konsonantenverdoppelungen ausgeschrieben.
[2]Circumcisioni Domini ist das Fest der Beschneidung des Herrn, ursprünglich auch in der katholischen kirche am 01. Januar eines jeden Jahres,