Ratsprotokoll Weil der Stadt aus dem Jahr 1657

Archival des Monats

Beim Archivale des Monats Juni handelt es sich um einen Auszug aus einem über 350 Jahre alten Protokollband. Im Herbst des Jahres 1657 wurde vor dem Rat der Stadt der Ehebruch des Glasers Johann Jakob Cringer verhandelt. Ihm wurde vorgeworfen seine Magd Anna geschwängert zu haben. In den sich auf mehrere Seiten erstreckenden Verhören werden intimste Details untersucht:

(Bestand WB - Bände Weil der Stadt)

 
Quellenzusammenhang


 
Die Stadtratsprotokolle vor dem Jahr 1648 sind durch den großen Stadtbrand vollständig vernichtet worden, seit dem Jahr 1649/1650 sind diese aber lückenlos überliefert. Sie sind für die Geschichte Weil der Stadts eine der wichtigsten Quelle und werden daher auch „Rückgratakten“ eine Kommunalarchivs genannt. In den Ratsprotokollen sind alle wesentlichen Vorgänge der zurückliegenden Jahrhunderte, die Weil der Stadt  betreffen, dokumentiert. Von besonderem Wert bezüglich ihrer Auswertung ist das jedem Band beigefügte Register. Wegen ihrer herausragenden Bedeutung hat die Stadt in einem aufwendigen Verfahren Einbände und Papier der Stadtratsprotokolle restaurieren lassen. Seit 1985 wurden so die Bände der Jahrgänge 1649/50 bis 1823 komplett restauriert.
 
Im Stadtarchiv Weil der Stadt befinden sich die Ratsprotokolle Weil der Stadts und aller Teilorte bis einschließlich 1974, dem Abschlussjahr der Gemeindereform in Baden-Württemberg. Außerdem werden im Bestand des Stadtarchivs die neueren Gemeinderatsprotokolle von 1975 bis einschließlich 1999 verwahrt.
 
Beim Archivale des Monats Juni handelt es sich um einen Auszug aus einem über 350 Jahre alten Protokollband. Im Herbst des Jahres 1657 wurde vor dem Rat der Stadt der Ehebruch des Glasers Johann Jakob Cringer verhandelt. Ihm wurde vorgeworfen seine Magd Anna geschwängert zu haben. In den sich auf mehrere Seiten erstreckenden Verhören werden intimste Details untersucht: so werden die Orte des Geschlechtsverkehrs nachgefragt (unter anderem im Schweinestall ..). Auch gibt die Angeklagte an nur im Stehen mit Cringer geschlafen zu haben um eine Schwangerschaft zu vermeiden:  „[…] das siehe stehend miteinander gesündiget sonderlich das siehe gesagt habe wenn man dergestalt zusammen komme das es kain Frucht gebe“. Trotz dieser „Verhütungsmethode“ wurde Anna Wagner schwanger.
An diesem Beispiel zeigen sich die für heutige Begriffe unvorstellbar engen Moralvorstellungen Mitte des 17. Jahrhunderts (die bis weit ins 20. Jahrhundert hineinreichen sollten). Auch zeigt sich wie schutzlos Frauen dem Urteil der Gesellschaft und in dessen Folge auch der Rechtsprechung ausgeliefert waren. Eine uneheliche Schwangerschaft bedeutete für die Frauen einen Ehrverlust verbunden mit einer Ächtung durch die Gesellschaft. Sie konnten nur darauf hoffen, dass der Kindesvater bei ihr blieb und sie heiratete oder wenigstens die eigenen Eltern/ Familie (die nicht selten ebenfalls unter großen Druck geriet) zu ihr hielt. In vorliegendem Fall schenkte Anna Wagner den leichtfertigen Versprechungen des Glasers Cringer Glauben und ließ sich mit einem verheirateten Mann ein. Und dieser versuchte nachdem durch Annas Schwangerschaft die Liaison in der Stadtgesellschaft offenkundig wurde seine Kopf zu retten: so diskreditierte er Anna indem er ihr zahlreiche Verhältnisse – unter anderem mit dem „Tyroler Pfeifer“ vorwarf (es sei unklar von wem sie schwanger sei), auch erweckt er den Anschein dass er seinen Lohn ihr nicht nur für die Dienste als Magd gezahlt habe um sie so in den Ruf einer Dirne zu drängen. Ob Anna tatsächlich verschiedene Liebschaften pflegte und wie ihr Lebenswandel aussah bleibt unklar – aber unabhängig davon hatte sie schwerer an den Folgen dieses außerehelichen Verhältnisses zu tragen: blieb ihr doch auch neben der schwerwiegenden gesellschaftlichen Ächtung die alleinige Aufgabe sich um das Kind zu kümmern. Hier konnte sie nur hoffen, dass ihre Familie sie nicht fallen ließ.
Gestraft wurden am Ende beide: Neben der zeitweisen Inhaftierung („Den Glaser in den Thurm, und die Magt auf das Thor“) wurde Cringer mit einer hohen Geldstrafe belegt, während Anna Wagner auf drei Jahre aus der Stadt verbannt wurde. Anna Wagners Vater Ulrich, der bereits während der Verhandlung stets Partei für seine Tochter ergriff,  versuchte die Ehre von Anna wiederherzustellen indem er gegen die Verurteilung protestierte. Ob und welchen Erfolg seine Proteste hatten ist unklar.
 
Das Archival des Monats Juni ist ein bedrückendes Beispiel für den problematischen gesellschaftlichen und strafrechtlichen Umgang mit unehelichen Schwangerschaften in den zurückliegenden Jahrhunderten. Bereits Johann Wolfgang von Goethe thematisierte dies mit der Gretchentragödie in seinem „Faust I“ und auch in Weil der Stadt sorgte eine uneheliche Schwangerschaft im 17. Jahrhundert für eine tiefgreifende Störung des sozialen Friedens.
 


Transkription[1]:
 
S.244
 
Freytag denn 11. [Sept]mbris [1657]
 
Anna, Ulerich Wagner Maurers Tochter wird vor
geholt und befragt wes Ursach siehe verwichen Erndt
zeit in der Statt ausgewichen sollte sich wegen des
dawohl vorgelassenen in und ausserhalb der Stadt er
hallenen Geschrays Verantwortung die Last durch ihren
prokurator Jo Jacob […] vor und anbringen
das ungefahr umb Sanct Johannes Tag Hans Jacob Cringer
Glaser, seines Bruders Dochter zu ihro geschickt  sollte
zu ihme hinkommen, dawohl mit einander ge
sündiget zwo duzzende vorgezaigt, nach vollbrachter
That aber 10 Kreutzer geben nachgehend seye er Johann
Jacob Cringer auch oft zu ihro in des Schuomachers
Haus kommen und sich mit ihro versündiget, wie siehe
Dann von ihme schwanger, weil sie aber bey ihme
Gedient seye dergleich nichts beschehen, als siehe
Befragt worden wie oft dergleich vorgangen siehe ge-
antwortet, seye drei oder vier Mahl geschehen, seye
Es aber öfter wiederhole, lüge sie desto weniger.
 
Als sie weiters gefragt worden, ob sie sonste mit
einand nichts zuthun gehabt, dieselbe geantwortet
das er Glaser gesagt sie solle warten bis sein Fraw sterbe
Hatte wohl andere Anständ genugsamb gehabt, uf
Solche Bekenntniss ist obige Dochter […] worden
Sich wider zu stellen, derentweg auch commissarii ver
Ordnet dieselbe morg in dem Spittel neben dem
[…] zu verhören noch befundenen Dingen siehe auf das Thor
Zu setzen, wegen des K[G]lasers zu referieren.


S. 245
 
Relation
Wegen Ehebruchs
Hans Jakob Cringer
 
Dienstag d. 15. Herbstmonaths
 
Haben die Ratscommissarii Andreas Elble, Schultheiß
Hans Conrad Reichle Geörg Mayer Hans Kieser und
Stattschreiber Weibert Maister referieren was zwischen
Dem Glaser und Anna Ulerich Wagners Tochter wegen
Vorgeloffenen schändlichen und ehebrecherischen Thaten aufgesagt
Worden. Und wird erstlich referiert, das da dis
In dem Spital bede verhört worden und hatte erstlich
Anna Ulerich Wagners Tochter ausgesagt und durch
Ihren Advocaten Johann Stotz […] bekandt, das Hans
Jakob Cringer allein der (Urheber?) ihres schwangeren
Leibs seye, habe nicht mögen leiden, das siehe mit anderen
Und Jungen Gesellen rede siehe afterwohl in Ungebühr […]
Auch mit ihme über Feldt genommen, als das Werckh
Zu Feldt, zu Haus, und hin und wider geschehen und zwar oft
Das siehe gleichwohl nicht wisse wan siehe schwanger worden
Seye wie siehe dann, da siehe noch in Dienst gewesen, ehs
Wohl in dem doppleten Schweinstahl zusammen kommen
Und gesündiget
 
Johann Jacob Cringer gibt sich schuldig, das er zwar
Mit seiner Magt gesündiget, hatte dieselbe Ihn sowohl
zu Hauß und zu Feldt (r)angelassen, steg und weg[2] ob und
vorgelassen, allein seyen auch andere bey dero gewesen
in Sonderheit aber ein Schuoknecht gantz […] bey
ihro gewesen wie auch der Pfeifer Tyroler, also
er nicht gleich vor einen Vatter aufzudeuten, pittet
das […] Ihme verzeihe, und die Obrigkeit ihme Gnadt,
erweisen solle, sein armselige Haushaltung, krankhes
Weib und Kinder anzusehen und zu considerieren, der
Magt Vatter hatte aufgeben, wollte dem Glaser
Das Kinds haimschickhen, wolle verhoffen werde nicht
Schuldig sein, sonderlich weil andere auch bey ihro
Gewesen, Er auch derselb allwegen gelohnt, werde nicht
Schuldig sein das Kindt anzunemmen.


Seite 246
 
Anna last durch ihren advocaten Johann Stotz weiters vor
Pringen das siehe miteinander gleichsamb wie Eheleute
Gelebt, ihro das einmahl dis, das andermahl einanders
Gar auch ein Beltz versprochen, ihro kain lohn sonder bis
Weilen etwas Holz und gesagt siehe solle etwas derent
Wegen kaufen und kramen
 
Jacob Cringer will erweisen das der Tyroler Pfeifer
Als Conradt Baitingers Hochzeit gewesen zu ihro kam
Hatte sie geantwortet, seye dawohle bereits schwanger
Gewesen.
Sagt weiters das siehe Anna ihne (r)angelassen und gesagt, wan
Er schon neben sich gehe, seye ihme nicht vor […] zuhalden,
weil er bereits und schon lang ein krankhes Weib
gehabt und das seye auf dem Weg geschehen, als siehe nach
Magstatt gangen.
 
Weiters als das Werck vollbracht und er ihro etwas
Geben siehe gefragt ob das ihr lohn.
Gibt weiter vor das er Glaser Siehe einmahl wie ein
Man erkannt, seye also seinetwegen nicht schwanger.
Weiters hatte siehe Anna auch ausgeben das ihr Moater
Nach Rottenburg wallfahre und Mess lesen lassen wolle das
Sein Fraw baldt sterbe,
Ihme hatte Dochter und Muater aufgeben wollen das recht
Wohl empfangen, das siehe von dem Glaser nicht ein
Unzüchtiges Wort gehört,
Das aber der Pfeifer Tyroler bey ihro gewesen, hatte
Erst gestern der Vatter selbst gegen Michael Decker
Maurer ausgeben.
 
[…] Ulerich Wagner zu Redt gestellt, der verantwortet
Sich das er sein Dochter mehrers examiniert, und siehe
Hierauf den Glaser angeben.
Für das ander wüste er nichts von dem Tyroler Pfeifer
Als was er allhir in der Statt hat hören sagen, und der gemain
Geschray gebe.
 
Worauf Michael Decker Maurer vorgestellt, die
Wahrheit zu sagen erinnert und examiniert worden
Der hat vermeldet, als er Ulerich Wagner unnd
Sein Fraw verwichenen Lamberty […], aufm Platz
Beysamm gestanden, habe er zu Ihnen beden gesagt
Wie die Händell stehen wegen seiner Dochter, es wolle
Schier verlauten als wan der Glaser mit ihro in das
[…] kommen werde. Er Ulerich gesagt, nein wehrle


Seite 247
 
Es werde sich nicht erfinden , das seine Dochter et-
Was mit dem Glaser zu tun habe.
Gestrig tags hatte Er Zeug Ulerich Wagner wider
Auf der Gass angetroffen, und widerumb zur Red gestellt
Gefragt, wie doch die Sache auf ein anderen gehe, es wolle
Aber wohl allerdings wegen des Glasers , und siener
Dochter ungleich geredt werden, worauf Ulerich Wag-
Ner gesgat das bey Conradt Baitingers des Jung
Bubelins Hochzeit der Tyroler Pfeifer bey seiner
Dochter gewesen, aber dawol bereits schwanger ge-
Wesen, köndte also vor keinen Vatter ausgezogen werden.
 
Weil also die Anna sich verdächtig gemacht als
Wan andere Gesellen auch mit ihro zuthun gehabt darauf
Wegen Catharina, Hans Geörg Kauffmanns Weib bey
welcher […] Anna gedient vorge […] und ge-
fragt worden, ob siehe iemandt verdächtig gemerckhs
oder [.. worden, die hat nuhn ausgesgat, das eis
wohl
der Pfeifer Tyroler hinauf gestiegen an der
Stang sich gehebt und die Blumenstöck herunder
Geworfen und geschruen, hast einen in der CAmmer
Geb solchen herauß, die Mgt zu ihr herab kommen, gesagt
Solle hören wie der Pfeifer ein Geschray, solle dneselben
Fort fertigen. Siehe die Fraw geantwortet, solle nuhr
Die Thier zulassen werde nicht hinauf kommen. Sonsten
Einmahlen verführt, das ledige Burst bey ihrer Magt
Gewesen, aber wohl in Acht genommen, das der Glaser
Und ihr Magt wo siehe mögen zusammen kommen, derent
Wegen siehe auch die Magt gewarnt, solche aber nichts
Darauf geben, sondern dem Glaser alles geoffenbart
Das siehe […]
 
Auf solche Relation hat Rat vor dieses Wohl
Den Glaser in den Thurm, und die Magt auf das
Thor, bis zu weiterer Erörterung der Sache condemnirt worden.
 

[1]              Buchstabengetreue Umschrift. Groß- und Kleinschreibung, Getrennt- und Zusammenschreibung  sowie Satzzeichensetzung nach heutigem Gebrauch; allgemein verständliche Abkürzungen und Konsonantenverdoppelungen ausgeschrieben. Nicht zu entziffernde Wörter oder Auslassungen in eckige Klammern gesetzt.
[2] Steg und Weg: „eine besondere verbreitung hat die reimformel weg und steg als begriffliche steigerung zur bezeichnung der gesammten verkehrsverbindungen der landschaft“ aus DWB = Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 16 Bde. in 32 Teilbänden. Leipzig 1854-1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971.