Klageschrift eines anonymen Bürgers gegen Johannes Georg Stotz nach einer nächtlichen Schlägerei (1797)

Archival des Monats

1797 klagt ein Weil der Städter Bürger vor dem Stadtmagistrat gegen den Metzger (Johannes) Georg Stotz (15.06.1751–05.01.1806). In dem gemeinsamen Wohnhaus war es in der Nacht (das genaue Datum ist unbekannt) zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen den beiden gekommen, nachdem der wohl betrunkene Stotz auf der Suche nach seiner Frau, die zuvor vor ihrem übergriffigen Ehemann aus der Stube geflohen war, vor dem Zimmer des Klägers randalierte. Wie der anonyme Bürger beschreibt, habe Stotz ihn beschimpft, geschlagen (wodurch er zwei Zähne verloren habe) und ohnmächtig gewürgt. Nicht zuletzt unterstellt er seinem Angreifer Tötungsabsicht und nennt ihn einen Mörder. An den Stadtrat wendet sich der Kläger mit der Bitte um Wiedergutmachung: u.a. fordert er für seine Familie und sich eine neue Unterbringung sowie Schadensersatz für seine ausgeschlagenen Zähne.

Die ins Stadtarchiv übernommenen schriftlichen Unterlagen der Verwaltung werden nach ihrer äußeren Form und nach ihrem Entstehungszusammenhang (bzw. nach ihrer Ämterherkunft) unterschieden in die Hauptbereiche Urkunden, Bände, Rechnungen und Akten. Die Akten wiederum werden in der zur Zeit ihrer Entstehung gültigen Aktenordnung übernommen und in dieser Ordnung im Archiv verzeichnet. So gibt es allein für die Akten Weil der Stadts vier Aktenschichten, die sich zeitlich zwar geringfügig überschneiden, grob aber in 4 Epochen einteilen lassen. Die früheste Aktenschicht 1 (17. Jh. bis etwa 1928) ist weitgehend ungeordnet, die späteren Aktenepochen sind nach Aktenplan systematisch geordnet).



Transkription[1]:
 
Hochedler Magistrat!
 
Es ist mir sehr leid, daß ich meine Obrigkeit beunrigen muß.
Allein ist es der Ort, wo ich in meiner Noth Gerechtigkeit suchen muß.
 
Letzten Samstag nachts halb 11 Uhr erhebt sich ein Mortgeschrey in
meines Hausmanns Stuben und nachdeme es aufgehört eine
Zeit lang, so fangt ein entsetzliches Geschrey in seiner obern Stuben
an, daß man glaubte es sey Feuer ausgebrochen.
 
Allein wo der Oehler mit dem Licht herbeyeilt, so hört man nichts als Schlagen
und Schreyen. Sobald er sieht, daß ein Licht kommt, so fangt er an zu
sacramenttiren[2] und zu trohen, er breche ihm den Halz.
So macht der Oehler sich fort, ehe er sich den Halz brechen will lassen und
schließt seine Stub.
 
Wie er aber hört, daß er fort ist so fangt das Schlagen auf ein Neues an und ein Gerumpel die Stiegen herab und so entwitscht seine Frau ihm und will Hilf suchen bey dem Oehler, der seine Thür geschlossen hat.
 
So frag ich sie, ob es geschlossen sey. So sagt sie: „Ja, heut Nacht werde ich tod geschlagen.“ So erbarmmt sie mich und ich nehme sie mit in meine Stuben und da will sie mir erzehlen wie der Handel angegangen seye.

[1]              Buchstabengetreue Umschrift. Groß- und Kleinschreibung, Getrennt- und Zusammenschreibung  sowie Satzzeichensetzung nach heutigem Gebrauch; allgemein verständliche Abkürzungen und Konsonantenverdoppelungen ausgeschrieben.
[2]           Sacramentieren: fluchen oder poltern.


So sage ich zu ihr: „Ich will nichts von euren Händlen wissen, sey sie still. Wenn seine Toberey aus dem Kopf ist, so ist es wieder anderst.“
Sie kann heut Nacht bey mir bleiben und sie kann zu meiner Frau ins Bett liegen.
 
Uiberdas suchte er seine Frau im ganzen Haus mit brennentem Licht und kam auch zu dem Oehler, der seine Stub geschlossen hat, und will sie eintretten im lauter Fluchen und Schwören und fand sie nicht.
 
So kommt er auch vor meine Thür, will sie eintretten. Wo ich sehe, das er mir
meine Thür will eintretten (so sprang seine Frau in meine Kammer) und ich mache
auf. So fragt er mich: „Wo ist meine Frau?“ Ich sage: „Nicht da.“ Er aber fangt an
zu fluchen und mich zu schimpfen einen liederlichen[1] Gesellen über den anderen (so sprang seine Frau wieder herbey). Ich aber gabe ihm zur Antwort, bis morgen wollen wir miteinander reden und gab ihm die besten Wort.

[1]              Liederlich: moralisch verwerflich, ausschweifend, unfähig, unordentlich.


Darüber schlagt er mich in das Gesicht und schlagt mir auf den ersten Streich zwen Zähn aus. Wie er aber den zweiten Streich faßt, so falle ich ihm um den Halz.
So faßt er mich mit Gewalt und wirft mich mit meiner Frau auf einen Bank und den Boden, ziegt mich bey Haaren und reißt mir ganze Lock aus.
 
Er greift mir nach der Gurgel, will mir sie mit Gewalt ausreissen, daß ich
nimmer gewußt hab, ob ich lebe oder tod bin.
 
Wann seine Frau und meine Frau und Tochter nicht mir zu Hilf kommen wären, so
hätte er mir, ehe der Oehler kommen wäre, den mörterischen Streich, den er in seinem Sinn gehabt hat, vollzogen.
 
Dann meine Frau bittet ihn, er soll mich um Gottes willen gehen lassen; gab ihr zur
Antwort: „Er muß verwirgt sein.“
 
Wie der Oehler dazukommen ist, der mir Luft geschafft hat, so reiße ich aus, fall über zu Boden in lauter Unmacht bis ich wieder Kraften bekommen und kriech zur Thür hinaus ohne Strumpf und Schuh und gratenweeg dem Herrn Schultheißen zu, bitte ihn, er möchte in meinem Hausse Fried machen.
 
Wie ich nacher Haus will, so war ich nicht so keck, daß ich mehr hinein gehe zu meinem Mörter. So fand ich meine Frau und Kinder, welche er auch hinausgejagt
hat mit Trohen und Fluchen, er zerreisse sie, auf der Kirchstapfel halb erfrohren und weinend mit einem kranken Kind, wissen keine Wohnung, wo sie hin können.

Auf dem Kirchhof stehen seine Kinder, die groste Tochter im Himet und weinen, sie müsen erfrühren, sie können in kein Haus hinein und dürfen nicht heim.
 
Da ich warten muß, bis der Herr Schultheiß kommt und ich hören muß, mit was für freundlichen Reden er ihn anredet und hör wie er alle Beschimpfungen gegen
ihn ausstosset, sodas der Herr Schultheiß noch bey diesen Beschimpfungen nicht sein Amt braucht, sondern sich auf Zeugen beruft, so dachte ich, es kann
mir noch einmal fehlen.
 
Da gehe ich und begehr den Herr Schultheißen und erinnere ihn seines Amtes
und verlang, er möchte eine Wacht ins Haus schaffen, sonst möchte er mir noch einen Streich versetzen oder ich müste mich selbst wehren.
 
Bitte unterthänig meine hochzuehrende Obrigkeit, sie möchte einsehen meine Unschuld und wann er mir einen todlichen oder Mißstreich versetzt hätte, wo ich dadurch untauglich zu meinem Dienst geworden wäre und betrachten wie meine
Frau und Kinder durch dieses ins Elend gekommen wären.
 
Bitte auch, sie möchten mir einen Ersatz für mein Haus machen, wo man von
dem Feuer kein Stund sicher ist. Bitte auch, den Schaden vor meine Zehn zu ersetzen, welche ich um kein Gelt hatte geben können.
 
Und um den Schaden, den er mir in meiner Stub durch Zusamentretung eines Spinnrathels gemacht hat. Bitte nochmal, sie möchten diese unmenschliche That einsehen und mir Satisfation[1] und Ruhe in meiner Wohnung verschaffen.

[1]              Satisfation: Genugtuung, Zufriedenstellung.


Fortsetzung folgt...