Quellenzusammenhang
Akten
Erstmals treten ab dem 13. Jahrhundert neben den Urkunden andere Formen schriftlicher Dokumentation auf, in denen Vorgänge von zeitlich begrenzter, nicht direkt rechtserheblicher Bedeutung ihren Niederschlag finden. War die Zeit der ausschließlichen Urkundenüberlieferung dadurch gekennzeichnet, dass nur Tatsachen und Vorgänge rechtlicher Natur mit den Mitteln der Schrift dauerhaft fixiert wurden, bildet sich nun, vor allem und zuerst in den Städten, auf der Basis der Ratsverfassung eine Verwaltung heraus, die sich immer weiter differenziert. Um in den zunehmenden Alltagsgeschäften auf frühere Vorgänge und Entscheidungen zurückgreifen zu können, benötigt die Verwaltung schriftliche Aufzeichnungen, die langfristig als Gedächtnisstütze aufbewahrt werden müssen. Vorbereitende oder ausführende Maßnahmen zu Rechtshandlungen, die früher nur mündlich erledigt wurden, werden nun schriftlich festgehalten. Die Entwicklung von Entscheidungen wird damit nachvollziehbar gemacht.
„Quod non es in actis, non est in mundo – Was nicht in den Akten steht, existiert nicht.“ Dieser Satz steht stellvertretend für den Abschluss des Prozesses der Ausbildung des Aktenwesens im Lauf des 18. Jahrhunderts.
Man kann davon ausgehen, dass es in Weil der Stadt schon vor dem magischen Datum, dem Stadtbrand 1648, Akten gegeben hat. Sie wurden aber alle ein Raub der Flammen.
1807 und 1884 wurde jeweils eine systematisch geordnete Gesamtübersicht der Weil der Städter Akten erstellt, in die aber auch Bände und Rechnungen integriert waren. Leider findet sich diese Ordnung der Akten im realen Aktenbestand nicht wieder. Ziel ist es aber, diese Aktenordnung im Bestand „Alte Akten Weil der Stadt“ zu rekonstruieren und damit alle älteren Akten, die mit dem Jahr 1648 beginnen, zu verzeichnen.
Die Akten des 20. Jahrhunderts sind in vier weiteren Aktenschichten vorhanden. Diese Aktenschichten grenzen sich in ihrer Ordnung nach einem bestimmten verwendeten Aktenplan voneinander ab.
Aus der Aktenschicht Weiler Akten des 18. Jahrhunderts soll heute unter anderem ein Briefwechsel, bestehend aus vier Briefen, vorgestellt werden.
Die vier Schriftstücke sind ursprünglich Teil eines Faszikels mit dem Aktentitel „Den Lehrcours der Hebamme Maria Anna Schrayin betreffend“ das 10 durchnummerierte Schriftstücke aus den Jahren 1784 und 1785 enthielt. Darin ist der Schriftverkehr zwischen dem Magistrat der Stadt Weil der Stadt und dem Chirurgen Franz Sartor in Mannheim, der aus Weil der Stadt stammt, enthalten.
In diesen Briefen werden die Bedingungen der Ausbildung einer Hebamme für die Stadt Weil der Stadt bei dem in Mannheim tätigen Chirurgen SARTOR ausgehandelt.
Mit dem ersten Schreiben fragt der Weiler Stadtsyndicus Franz Carl von BRANDT bei Sartor an, ob dieser bereit ist, eine Frau aus Weil der Stadt zur Hebamme auszubilden – es handelt es sich um ein Konzeptschreiben, das Original wurde schließlich versandt. Die übrigen Dokumente stammen aus der Feder von Franz Sartor und erzählen von der Bereitschaft, für die Ausbildung in Mannheim zu sorgen üpber Bemerkungen für die Auswahl der Person bis hin zum Ablauf der Ausbildung von Anna Maria SCHRAY zur Hebamme. Da die übrigen Briefe leider fehlen ist der Briefwechsel nicht vollständig überliefert.
Der in Mannheim tätige Arzt Franz Jakob SARTOR wurde am 26. 04.1736 in Weil geboren. Seine Eltern waren Christian Sartor (*1712, † 2.5.1747, Bäcker) und Katharina geb. Schöninger *1712, † 7.7.1747). Sein Großvater Franz Wilhelm Sartor, Barbier (Chirurg) und Kronenwirt, wurde am 7.8.1685 in Weil der Stadt eingebürgert und soll aus Sigmaringen zugewandert sein[2]. Der Weiler Syndicus Brandt (zu dessen wechselvoller Amtszeit es eine Vielzahl an interessantem zu berichten gibt) zeigt seine Weltläufigkeit und hervorragende Ausbildung in dem er seine Anrede an Sartor im ersten Schreiben sowohl in deutscher als auch in französischer Sprache verfasst.
In den Ratsprotokollen der Jahre 1784 und 1785 wird die Ausbildung der Anna Maria Schray ebenfalls thematisiert. Als sie im Frühjahr nach erfolgter Ausbildung von Mannheim zurückgeht muss sie vor dem Rat einen Eid ablegen und wird damit in ihren Dienst als Hebamme aufgenommen. Der durch Schray abzuleistende Eid dürfte identisch mit dem im Weiler „Aydt“-Büchlein aus dem Jahr 1707 enthaltenen Eid für die Hebammen[3] sein. Dieser wird in der Archivalie des Monats Januar 2021 zusammen mit den beiden im Bestand des Stadtarchivs befindlichen Eid-Büchern vorgestellt werden.
Zur Bedeutung des Hebammenberufes sowie zu den zahlreichen weiteren Akten des 19. und 20. Jahrhunderts dies Thema betreffend kann aus Platzgründen keine weitere Untersuchung erfolgen – Material ist in den Beständen des Stadtarchivs Weil der Stadt zum Thema Hebammen, auch für die Teilorte, reichlich vorhanden.
Transskription der Briefe
Brief 1:
Num: […]
Hochedler, kunsterfahrener.,
hoch zu verehrender Herr!
Es ist ein allhießige hoch-
edler, und wohlweiser
Magistrat gesonnen
Eine Weibs-Person von
Hier in der Hebammen-Kunst
Auf Kösten hiesiger Stadt
gründlich informieren
zu lassen, auf daß Sie dem hießigen Publico
gute, und nützliche Dien-
ste machen zu können,
in den Stand gesezet werden
möge. Wenn nun
aber hiezu eine gute Ge-
legenheit erforderlich seyn
will, und dahero ein
hochedler, und wohl
weiser Magistrat
das Zutrauen dahin
heget Euer hochedlen
als ein gebohrener
Weilderstädter werden
aus Liebe dero werthen
Vaterstadt sich gefallen
Lassen eine solche Gele-
genheit etwa daselbst
In Mannheim aufün
dig zu machen. Es ist mir
Demnach von meiner
Principalschaft der
Auftrag geschehen,
das ergebensten, und
dienstlichen Ansuchen zu
thun Euer Hochedlen
wollten gütigst belie-
ben hießig, hochedlen
Magistrat dieße
ausnehmende Freund-
schaft, und Gefälligkeit
zu erweisen, und sich
um ein solche Gelegen
heit zu bestreben, und
sodann hievon entwe
der an dahießig hochlöbblichen
Magistrat, oder an mich
Die beliebige Nachricht
anhero zugehen zu lassen
welche anhoffende Ge
fälligkeit man dießorts
mit schuldigem Dank
zu erkennen nicht ermang-
len wird , der ich anbey
die Ehre habe mit all
gebührender Hochachtung
zu verharren
Euer hochedler
Gehorsamster
Diener
Weilderstadt
d. 27ten Novbris 1784
Brief 2:
Num:2
Hochedlen geehrten
Hoch zu verehrenden Hern
Herr Syndicus!
[..] 8. Decembris 1784
Daß unterm 27. Novembris […] an mich er
lassene ist mir den 2tn dieses von allhiesiger
Post eingehändig worden, und darin ersehen,
wie; daß Ein hochedler, wohlweiser
Magistrat den lobenswürdigen gedanken
Bekommen eine Weibsperspn, um die Hebe
Ammenkunst zu erlernen gesonnen sei. Ich
Ginge also gleich zu dem Profesohr der
Entbindungs Lehre Tit: Herrn Hof und
Medicinal Rath Fischer, welcher mir auch
Sogleich sehr freundschaftlich die Zusage gethan,
worauf ich ihn zu gleich fragte, wie hoch die Kösten
sich für eine solche Person belaufen mögten: so
gab er mir ein Verzeichniß, wie es in Kurpfalz
Landen verordnet sei, nemlich biß nächst kommen-
des Neujahr als den 3ten Januar 1785
fange die Lehre an, und daure, biß den 20ten
auch 22ten Aprill, nun ist in beiliegenden
- Seite 2 –
zu ersehen, wie hoch sich die Kösten belaufen
mögen, ich redete zugleich auch, wegen einem
Ihme zu machenden Present, allein davon wollte
der Herr Profeshor nichts hören, ich bin aber
des dafür haltens, weil es unser Kurpfalz
landen, doch in etwas erkenntlich zu sein, fer-
ner muß ich erinnern, daß ein wohlweiser
Magistrat eine solche Weibsperson wähle,
die nicht zu alt, wohl gewachsen, fromm, und tug-
endsam seie, dem Trunk nicht ergeben, sich
nicht mit Schwäzereien und Uneinigkeiten
zu stiften abgebe, auch imstande sei, wohl,
wenigstens gedruckt zu lesen, und sich ein
guten Begrif von der Lehre machen zu können.
Wenn nun ein wohlweiser Magistrat dar-
auf beharre, so ist weiter nichts mehr er
forderlich, als zur bestimmten zeit, die
bestimmte Weibsperson, mit einem em-
pfehlungsschreiben an Hrn Profeshor der
Entbindungs Lehre Tit Hof und Medicinal
Rath Fischer anhero zu schicken, und sie an mich
zu weisen, damit ich sie selbsten bemelden
Herrn Fischer empfehlen kann. Dieß wäre
meine aufrichtige und wohlmeinende Gesinnung
- Seite 3 –
die ich einem Hochedlen und Wohlweisen
Magistrat mich pflichtschuldig erkenne.
und mache mir ein sonderbares Vergnügen
daraus, wenn ich bei einer für die Menschheit
so notwendige und von jeder Ortsobrigkeit
nicht genug zu belbende Veranstaltung gemacht
Werden, so sage ich freut es mich umso mehr,
wenn ich für das Wohl der inwohner meiner
Vatterstadt etwas beitrage kann. Ja ich er-
Biete mich in allen Vorfallenheiten so in meiner
Wissenschaft einschlägig sind meine Bereitwillige
Diensten, de rich mit Hochachtung harre und bin
Eines hochedlen und wohlweisen
Magistrats
Bereitwilliger Diener
Mannheim, den 2ten Xbris 1784
Franz Sartor
Hof und Geschworenen StadtChirurgus
[…] Michael Stoz Candidatus Chirurgiae
Der dieses geschrieben empfiehlt einen hochedlen
Wohlweisen Stadtrat seiner Mutter und Schwester
Brief 3:
N 6
Hochedler und wohlweißer
Magistrat!
Die anhero abgeschickte, und an mich angewies-
ene Maria Anna Schrayen hat sich den 31ten Xbris
verflossenen Jahres bei mir vorgezeigt. Sie ist zwar
den Tag zuvor schon in Mannheim angekommen, und
hat in einem Wirtshauß übernachtet, und biß den
anderen Nachmittag sich aufgehalten. Weilen sie theils
wegen Zaghaftigkeit und Müthigkeit nicht sogleich sich
getraut zu mir zu gehen. Dieses ware ihre Entschuldig-
ung auf meine Frage; warum sie nicht sogleich zu
mir gekommen seye. Sie übergab mir die von einem
wohlweisen Magistrat an Tit.: Herrn Hofrath
Fischer als auch an mich addreshirtes Schreiben
samt denen 33 f zu Bestreitung deren Kösten
für dieselbe. Alß ich sie fragte ob sie einen rechten
Eifer und Freude zu Erlernung der Hebammen-
kunst habe, gabe sie mir zur Antwort, was
will ich machen, meine Herrschaft will es also
haben, und wenn sie es noch zu thun hatte
so würde sie nicht mehr thun, den es wäre ihr
so angst, wegen der Lehre. Da ich ihr aber
zusagte, daß ich sie bei mir in Kost und Logis
nehmen wollte, so war sie wieder mehr er-
mundert, mit dem Ausdruck, wenn ich das thun
wollte, so wollte sie bleiben. Auch habe ich selbsten
sogleich für gut erachtet, dmait dieselbe in keinen
verdächtigen Umgang gerathen möchte, auch um
so mehrere Gelegenheit sie in ihrer Lehre zu
erleichtern zu haben. Und ich hoffe daß sie die
Hebammenkunst fleisig und gut erlernen
wird. Den an Tit. Herrn Hofrath Fischer
addresierten Brief habe ich ihm eigenhändig
zugestellt und zugleich die Anna Maria
Schrayen vorgestellt. Nun ist sie in der Lehre
und ich habe gute Hoffnung, daß sie dieselbe
gut erlernen wird. Dieses wäre, was ich
dermalen einem wohlweisen Magistrat
in Betref der Anna Maria Schrayen zu
melden habe; daß weitere anbelangend werde
ich vor Endigung der bestimmten Lehrzeit Nach-
richt geben. Der ich mit aller Hochachtung harre
und bin
Eines hochedlen und
Wohlweisen Magistrats
Dienstbereitwillig Diener
J.F.Sartor Hof und Stadt
Chirurgus
Mannheim den 9ten Jan 1785
Brief 4:
N.7
Hochedler und wohlweiser
Magistrat!
Die Mariannen Schreyen hat die Hebammen
Wissenschaft so gut erlernet daß sie unter 17ne die
Mit ihr den Curs gemacht bei der Hauptprüfung
Die beste bestanden hat wie auf Ihrem Priefungszeig
Nüß zu ersehen ist, und einem hiesgen hochlöbl.
Consilio medico alle genüge geleistet hat, für allen anderen.
Dadurch hat Sie einem hochedlen Magistrat, sich und
Mir Ehr gemacht. Es laset sich als ohngezweifelt hofen,
daß sie in der Ausübung I: in deme sie hier schon
Kinder empfangen hat:I in diesem Gefache alle
bequemliche, und leichteste Hilfe leisten wird. Ferneres
Lobes erhebungen sind ohnnöthig die Thaten werden
es bezeugen. Doch muß ich einem hochedlen Magistrat
erinneren daß äußerst schwere Geburten vorkommen
können, die nicht anderst als durch Instrumenten
können gehoben werden, und dazu wird ein
Mann der in der Entbindungskunst wohl er
fahren ist erfordert, daß aber die Mariannen Schrayen
Wenn ihr ein solcher Fall vorkömt, weiß die Zeit
zu bestimmen, daß man einen solchen Mann be
rufen solle, bin ich von ihr überzeugt. Auch
wird sie in heimlichen Schwangerschaften,
und sonsten dahier einschlagie gerichtliche Unter
suchungen die Wahrheit und richtige Auskunft
geben. Und so in allen ihren Verrichtungen
wie es ihr öftters ist gesagt worden, besonders ihr
Priefungs Atestat von ihr fordert
Dieselbe ist mit den übrigen nach Endigung der Priefung
Über ihr auf sich habendes Amt verpflichtet worden,
allein der Hr Hofrath Fischer hat nicht sogleich daran ge
denkt daß Sie nicht zur pfälzischen Gerichtsbarkeit unter
worfen, doch macht es keine Hinternüß daß ein hochedler
Magistrat sie nach Ihren Gesezen nochmallen ver-
Pflichten können. Die ferneren Kösten über-
Die dreiunddreißig Gulden die mir durch die Mariannen
Schrayen überbracht worden, belaufen sich annoch
Auf 36 f sage dreisig sechs Gulden, ohne das Doneur
Was ein hochedler Magistrt dem geburtslehrer
Tit Hr Hofrath Fischer machen wollen, unter
Der Ausgabe befindet sich wegen ihrer 14tägigen Krank
Heit für Medicin solang sie bei mir krank gelegen
Indem sie 8 Tage in hiesigem löbl. Burgerhospital
Gelegen wo es nichts gekost hat. Ferner habe ich ihr
nöthige Kleidungs Stücken anschaffen müssen, ihren
nöthige Stüke zu Ausübung ihrer Hebammenverrichtung.
Kurz, ich hofe daß ein hochedler Magistrat mir
Glauben wird, ohne daß ich alles genau specificierte
Habe. Wenn ich einstens hören werde daß ich zu dem
Guten Werck was beigetragen habe, so wird es mich er
Freuen. Indesten habe ich die Ehre mit aller u
Hochachtung zu harren und bin
Eines hochedlen Magistrats bereitwilliger Diener
F.J. Sartor Hofchirurgus
Und städtischer Geburtshelfer
Mannheim den 27ten April 1785
P.S.: Ich mus für diese […] Hebamme einen
hochedlen Magistrat bitten derselben ein
beständiges jährliches Gehalt zu geben, vielleicht
bin ich zu voreillicht weillen es ihr schon zu ge
sagt ist. Es ist auch nöthig solchen persohn es zu geben
daß sie ihre Amtspflichten, bei dem armen alß
Reiche, in gleichem Eifer verrichten, damit die
Obrigkeit, sie, zu aller Zeit, dazu anhalten kann.
[2] Für die genealogischen Hinweise zu Franz Sartor danke ich Frau Rothacker-Adler sehr herzlich.
[3] Der Hinweis auf den „Hebammen-Eid“ wurde durch Stadthistoriker Wolfgang Schütz gegeben.